MPIfG Working Paper 06/5, September 2006

 

Das Aufheben von Ungewissheit als Kern des Vertrauens: Just do it?

 

Guido Möllering , Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln

 

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag auf der Sitzung des Kuratoriums des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung am 9. Juni 2006 in Köln. Ich bedanke mich für wertvolle Anregungen bei Jens Beckert, Sascha Münnich und Christine Trampusch sowie bei den Teilnehmern der lebhaften Diskussion im Anschluss an den Vortrag.

 

 

 

 

Abstract

Trust is considered to be a precondition for individual action, cooperative relationships and societal order. In the social sciences, researchers have tried to explain trust by identifying the “good reasons” for trust that provide the basis for trusting. This paper argues that although trust has to refer to reason, routine and reflexivity, it has to go beyond “good reasons”. The suspension of uncertainty should be seen as the essence of trust which gives trust its original meaning. Hence, we need to understand how actors achieve the “as if” or the “just do it” in trust which enables them to interact with others, have relationships and be part of society – especially under the notoriously complex, dynamic and also precarious conditions that they face today. The paper discusses research on management in China to illustrate the underlying issues empirically.

 

 

 

 

Zusammenfassung

Vertrauen gilt als Voraussetzung für individuelles Handeln, kooperative Beziehungen und gesellschaftliche Ordnung. In den Sozialwissenschaften haben Forscher Vertrauen zu erklären versucht, indem sie vor allem nach den „guten Gründen“ gesucht haben, auf deren Grundlage Vertrauen geschenkt wird. In diesem Beitrag wird hingegen argumentiert, dass Vertrauen zwar auf Vernunft, Routinen und Reflexivität rekurriert, begriffskonstitutiv aber stets über „gute Gründe“ hinausgeht, und dass das Aufheben von Ungewissheit den eigentlichen Kern des Vertrauens ausmacht. So gilt es zu verstehen, wie Akteure im Vertrauen zu einem „Als Ob“ oder „Just do it“ kommen, welches sie handlungs-, beziehungs- und gesellschaftsfähig macht – und zwar gerade heute angesichts der vielfach attestierten komplexen, dynamischen, aber auch prekären Lebensverhältnisse. Zur empirischen Veranschaulichung der Problematik bezieht sich der Beitrag auf Studien zum Management in China.

 

 

 

Einleitung

 

Vertrauenskonzept

Abgrenzung

Definition

Vertrauen und Vernunft

Vertrauen und Routine

Vertrauen und Reflexivität

Aufheben von Ungewissheit

 

Management in China: Vertrauen im unvertrauten Kontext

 

Schlussbemerkungen

 

Literatur

 

 

 

 

 

Einleitung

 

Im Titel dieses Beitrags verbinde ich das Thema Vertrauen mit dem Slogan „Just do it“. Die Aufforderung „Just do it!“ bringt den im Vertrauen entscheidenden, uns im Alltag zum Glück meist unbewussten Moment zum Ausdruck, in dem Akteure nicht immer weiter nach guten Gründen suchen, sondern ihre verbleibende Ungewissheit und Verwundbarkeit anderen gegenüber überwinden – sich selbst überwinden – und es einfach tun. Sie haben eine positive Erwartungshaltung erreicht und handeln, als ob negative Möglichkeiten nicht eintreten könnten und das Wohlverhalten anderer gewiss sei.[1] Wenn sie vertrauen, sind sie nicht mutig oder verzweifelt oder lebensmüde, sondern davon überzeugt, dass man ihnen nicht schaden wird, obwohl sie dies nicht sicher wissen können und trotz des fälschlicherweise so genannten Restrisikos, das sie gar nicht ermessen können. Ich werde in diesem Beitrag argumentieren, dass das Aufheben von Ungewissheit den Kern des Vertrauens ausmacht, der wiederum Vertrauen für die Sozialwissenschaften überhaupt erst interessant macht. Nur mit Ausdrücken wie „als ob“, „obwohl“ und „trotz“ – und eben mit dem stärker auf die daraus folgenden Handlungen gerichteten „Just do it“ – können wir Vertrauen konzeptionell gerecht werden. Denn Vertrauen braucht zwar auch gute Gründe zur Reduktion von Ungewissheit, muss aber stets über diese hinausgehen und die verbleibende Ungewissheit durch „Aufheben“ bewältigen.[2] Das heißt, es muss zu den guten Gründen noch etwas hinzukommen. Die Sozialwissenschaften haben sich jedoch bisher meist nur für die guten Gründe selbst interessiert und nur wenig dafür, wie der Vertrauende mit den guten Gründen und vor allem mit der verbleibenden Ungewissheit umgeht. Im Folgenden stelle ich in einem längeren theoretischen Teil zunächst mein Vertrauenskonzept vor. Anschließend diskutiere ich vor diesem Hintergrund empirische Erkenntnisse aus Studien über das Vertrauen beim Management in China.

 

Vertrauen ist keiner einzelnen Disziplin zuzuordnen, sondern ein im besten Sinne interdisziplinäres Phänomen.[3] Die große gemeinsame Frage, der disziplinübergreifend nachgegangen wird, ist dabei: Wie entsteht eine positive Erwartungshaltung gegenüber den Intentionen und dem Verhalten anderer – und zwar trotz der prinzipiellen Verwundbarkeit anderen gegenüber?[4] Der Fokus und typischerweise auch die Ebene der Betrachtung variiert, je nachdem ob ein Psychologe, ein Ökonom, ein Soziologe oder ein Politikwissenschaftler Vertrauen analysiert. Vertrauen macht Akteure handlungs-, beziehungs- und gesellschaftsfähig. Dabei bezieht sich Vertrauen zugleich rekursiv auf Handeln, Beziehungen und Gesellschaft. Verschiedene Disziplinen treffen sich zum Beispiel bei der Frage, inwiefern Vertrauen Kooperation ermöglicht oder erleichtert.[5] Oder man erörtert in verschiedenen Disziplinen die Wechselwirkungen zwischen Vertrauen und Stabilität, sei es der individuellen Lebenswelt oder der gesellschaftlichen Ordnung.[6]

 

Diese Frage nach den positiven Erwartungen gegenüber den Mitmenschen im Rahmen gesellschaftlicher Strukturen war immer schon für das menschliche Zusammenleben äußerst wichtig, scheint heute jedoch besonders dringend zu sein.[7] Bevor wir allerdings Vertrauenskrisen diagnostizieren, sollten wir uns fragen, was es eigentlich bedeutet, zu vertrauen, und wann es angebracht ist, von Vertrauen zu sprechen. Wir brauchen ein fundiertes Vertrauenskonzept, auch um feststellen zu können, wann Vertrauen besonders wichtig ist, wann nicht, und wie es mit anderen sozialwissenschaftlichen Kategorien zusammenhängt.

 

 

Vertrauenskonzept

 

Abgrenzung

 

Um sinnvollerweise von Vertrauen sprechen zu können, muss man mindestens zwei in einen sozialen Kontext eingebettete Akteure vor Augen haben, die sich wechselseitig beeinflussen können und die in ihren Erwartungen, Intentionen und Handlungen nicht vollständig determiniert sind.[8] Analytisch ordnet man den Akteuren zur klareren Darstellung der Problematik die Rollen des Vertrauensnehmers und Vertrauensgebers zu, wobei diese Rollen in einer Vertrauensbeziehung auch wechselseitig eingenommen werden können. Der Vertrauensgeber ist mehr oder weniger verwundbar gegenüber einem Vertrauensnehmer, dessen Vertrauenswürdigkeit nicht vollkommen kontrolliert oder vorhergesagt werden kann.[9] Die Vertrauensproblematik entsteht mithin durch die prinzipielle Freiheit des Vertrauensnehmers, durch sein Handeln dem Vertrauensgeber entweder zu schaden oder zu nützen, und durch die prinzipielle Freiheit des Vertrauensgebers, dem Vertrauensnehmer zu vertrauen oder nicht.

 

 

Definition

 

Vor diesem Hintergrund verstehe ich Vertrauen als einen fortlaufenden Prozess, im Zuge dessen – aufbauend auf Vernunft, Routinen und Reflexivität – die nicht reduzierbare Verwundbarkeit und Ungewissheit gegenüber anderen aufgehoben wird, als ob sie zum Guten gelöst worden sei, wodurch eine positive Erwartung gegenüber den Handlungen und Intentionen mehr oder weniger spezifischer anderer erreicht und aufrechterhalten werden kann.[10] Kernaussage dieser Definition ist, dass Vertrauen auf Vernunft, Routinen und Reflexivität rekurriert, letztlich aber durch das Aufheben (engl. suspension) von Ungewissheit entsteht (Abbildung 1). „Aufheben“ (Hegel 1973: 94) bezeichnet hierbei ein gleichzeitiges Negieren und Aufbewahren.

 

 

Abbildung 1   Vertrauenskonzept – Vertrauen rekurriert auf Vernunft, Routinen und

Erfahrungen, entsteht letztlich aber durch das Aufheben von Ungewissheit

  

 

Quelle: Möllering 2006, S. 110.

 

 

Abbildung 1 verdeutlicht den Gedanken, dass Vertrauen stets Grundlagen benötigt. Diese Grundlagen fasse ich mit den Begriffen Vernunft, Routine und Reflexivität in drei Kategorien zusammen, die ich im Folgenden erörtern werde. Wenn zu diesen Grundlagen, die kombinierbar sind und die jeweils unterschiedlich stark ausgeprägt und relevant sein können,[11] nicht noch das Aufheben von Ungewissheit hinzu kommt (suspension), dann entsteht kein Vertrauen bzw. macht es keinen Sinn, von Vertrauen zu sprechen. Für dieses Vertrauenskonzept ist es wichtig, von einem soziologischen Begriff der Ungewissheit auszugehen, der besagt, dass bei Ungewissheit dem Akteur weder die möglichen Handlungsresultate noch deren Wahrscheinlichkeiten bekannt sind, weshalb sich Ungewissheit eben genau auf das bezieht, was nicht bereits durch „gute Gründe“ erfassbar ist.[12] Das Konzept des Aufhebens dieser Ungewissheit macht den Kern des Vertrauens aus, während die Grundlagen für Vertrauen eben nicht mit Vertrauen verwechselt werden dürfen und auch nicht das Besondere des Vertrauens erfassen.

 

 

Vertrauen und Vernunft

 

Die sozialwissenschaftliche Vertrauensforschung sucht vor allem nach den guten Gründen für Vertrauen und dies erkennt man am deutlichsten bei Ansätzen, die in der Ökonomischen Theorie, Rational-Choice-Theorie, Spieltheorie und auch der Kognitionspsychologie zu verorten sind.[13] Diese Ansätze betrachten Vertrauen als eine Frage der Vernunft, als rationale Entscheidung des Vertrauensgebers. Ob vertraut wird oder nicht, hängt ab von dem Nutzen und den Interessen der Akteure und von ihrer Fähigkeit, vertrauenswürdige Interaktionspartner anhand von bestimmten Kriterien zu erkennen und von vertrauensunwürdigen Interaktionspartnern zu unterscheiden. Dieser Ansatz ist Mainstream.[14] Er weist zwar auf wichtige gute Gründe für Vertrauen hin, doch soweit er Vertrauen auf diese vernünftigen Gründe reduziert, ignoriert er konsequent, dass Vertrauen weiter geht: Wir brauchen den Begriff des Vertrauens nicht, wenn wir einfach nur eine Wette, eine Nutzen maximierende Entscheidung auf der Basis vorhandener Informationen meinen.[15] Wenn wir jedoch sagen, dass das Vertrauen, das ein Akteur in einen anderen Akteur setzt, mehr als eine Wette ist, dass es nämlich die tatsächliche Unentscheidbarkeit realer Interaktionsprobleme positiv auflöst und dadurch erst die „Entscheidung“ ermöglicht, dann geht Vertrauen dermaßen über die Vernunft hinaus und vielleicht sogar hinweg, dass die zugrunde liegende Theorie gesprengt wird.[16] Im Vertrauen muss zur Vernunft noch etwas hinzukommen, weil die Vernunft zwar wichtig als Grundlage für Vertrauen ist, jedoch nicht alle Ungewissheit beseitigen kann.

 

 

Vertrauen und Routine

 

Ein ganz anderer Ansatz beginnt mit der Beobachtung, wie routinemäßig und selbstverständlich Akteure einander in alltäglichen Situationen vertrauen. Dies wird insbesondere im Neuen Soziologischen Institutionalismus thematisiert.[17] Die dahinter stehende Idee findet sich jedoch unter anderem auch in der Psychologie und der Sozialpsychologie sowie der Bürokratietheorie angefangen bei Max Weber, sodass ich hier zunächst recht lose von Routinen spreche. Das Schöne an Routinen ist, dass man ihnen folgt, ohne sie zu hinterfragen oder ihre Selbstverständlichkeit zu bezweifeln, selbst wenn dies prinzipiell jederzeit möglich wäre.[18] Einer Routine zu folgen, kann ein sehr guter Grund für Vertrauen sein, darf jedoch für sich genommen noch nicht mit Vertrauen verwechselt werden. Man orientiert sich an bewährten Regeln und Rollen, an dem, was wir Institutionen[19] nennen, auch wenn wir nicht alle dasselbe damit meinen, und vielleicht legt man im routinemäßigen Vertrauen auch eine Isomorphie an den Tag, wenn man zum Beispiel jemandem vertraut, weil alle anderen es ja auch tun.[20] Routinen im weitesten Sinne sind als Grundlage für Vertrauen absolut ernst zu nehmen, doch dieser Ansatz geht ebenfalls nicht weit genug: Wir brauchen den Begriff des Vertrauens nicht, wenn wir einfach nur ein durch Routinen determiniertes Denken und Handeln meinen, bei dem die Akteure passiv sind. Wenn wir jedoch sagen, dass Vertrauen mehr als Routine ist, weil Routinen ja eben nicht perfekt sind, weil sie keine absolute Sicherheit garantieren und der Akteur mit diesem Problem umgehen muss, dann kann eine auf Selbstverständlichkeit verweisende Theorie Vertrauen nicht vollständig erklären.[21] Im Vertrauen muss zur Routine noch etwas hinzukommen, nämlich eine letztlich unbegründbare und häufig auch unbewusste, aber dennoch entscheidende Bereitschaft zu akzeptieren, dass die Routine nicht alle Ungewissheit beseitigt und dass es Situationen gibt, in denen die Routine nicht mehr „gut genug“ ist und Selbstverständliches nicht mehr gilt, obschon man sich vertrauenstypisch eben nicht an dieser unerwarteten Möglichkeit, sondern an der erwarteten Normalität[22] der Routine orientiert.

 

 

Vertrauen und Reflexivität

 

Die dritte und vielleicht wichtigste Grundlage für Vertrauen, die in der Literatur und auch in qualitativen Studien immer wieder angeführt wird, sind die Erfahrungen, die der Vertrauensgeber in der Vergangenheit gemacht hat und aus denen er lernt.[23] Vertrauen basiert also auf Reflexivität. Dieser Ansatz wird von Prozesstheorien gestützt.[24] Es wird hervorgehoben, dass Vertrauensbildung ein Prozess ist, der irgendwie in Gang gebracht werden muss, zunächst sehr experimentell sein kann und mit kleinen Schritten beginnt.[25] Vertrauen wird möglich durch das Vertrautmachen mit dem Vertrauensnehmer und durch die fortlaufende Strukturierung des jeweiligen sozialen Systems.[26] Der besondere Reiz dieses Ansatzes ist, dass er nicht statisch ist, und dass er nicht davon ausgeht, dass Vernunft und Routinen direkt in Anschlag gebracht werden können, sondern dass sie sich oft erst noch entwickeln müssen. Zwar kann man sich durchaus auch vorstellen, dass das Prinzip der kleinen Schritte des Vertrauensaufbaus durch das Ausüben von Kontrolle zur Begrenzung des möglichen Schadens flankiert wird. Damit Vertrauen entsteht, ist jedoch genau das Gegenteil, nämlich die Bereitschaft, sich zumindest ein Stück weit verwundbar dem anderen gegenüber zu zeigen und in diesem Bereich auf Kontrolle zu verzichten, viel wichtiger.[27] Die Frage ist dann jedoch, wie ein Vertrauensbildungsprozess überhaupt in Gang kommt. Wenn dies nicht erklärt wird, greift auch dieser Ansatz zu kurz. Wir brauchen den Begriff des Vertrauens nicht, wenn wir zufälliges oder blindes Handeln meinen, welches weder mit positiven noch mit negativen Erwartungen von Akteuren einhergeht.[28] Wenn wir jedoch sagen, dass Vertrauen mehr als das Prinzip der Reflexivität ist, dass es nämlich ein optimistisches, aber unbegründbares sich Einlassen auf neue Erfahrungen ist, aus denen man lernen und auf die man Beziehungen zu anderen aufbauen will, dann reichen Prozesstheorien nicht aus, um dies zu erklären.[29] Im Vertrauen muss zur Reflexivität noch etwas hinzukommen, nämlich etwas, das erklären kann, warum nicht die im Prozess weiterhin drohende Ungewissheit, sondern einige sporadische Erfahrungen und Eindrücke – und sogar die Aussicht auf diese – die Erwartungen gegenüber anderen entscheidend prägen können. Wie kann man sich auf Beziehungen zu Fremden, Neuen, Unvertrauten einlassen, statt sie angesichts von Ungewissheit und Verwundbarkeit zu meiden?

 

 

Aufheben von Ungewissheit

 

Was zu Vernunft, Routine und Reflexivität als Grundlagen von Vertrauen hinzukommen muss und die eigentliche Besonderheit von Vertrauen ausmacht, ist das Aufheben von Ungewissheit. Was ist damit gemeint? Vertrauen „enthält einen Zusatz jenes sozial-psychologischen, dem religiösen verwandten ‚Glaubens‘“ und ist damit eben mehr als ein einfacher Induktionsschluss.[30] Dieser Gedanke Simmels wird unter anderem bei Luhmann weiter verfolgt, der in seinem Essay über Vertrauen eher beiläufig, aber von Poggi treffend erkannt, auf das hegelianische Konzept des Aufhebens verweist.[31] Hegel wiederum betont, dass Aufheben eine Doppelbedeutung hat: „es ist ein Negieren und ein Aufbewahren zugleich“.[32] Dies trifft genau den Kern des Vertrauens: das Aufheben von Ungewissheit (suspension), wodurch die Ungewissheit überwunden, aber nicht weiter reduziert oder gar vollständig eliminiert wird.[33] Sie kann zurückkehren, steht derweil aber der positiven Erwartung nicht im Wege. Das Aufheben von Ungewissheit ermöglicht den über die guten Gründe hinausgehenden Glauben, der die positive Erwartungshaltung des Vertrauens entstehen lässt.[34]

 

Um Vertrauen zu ergründen (ohne es im herkömmlichen Sinne begründen zu wollen), gilt es also zu verstehen, wie das Aufheben von Ungewissheit möglich ist. Hier kann man nicht auf eine gefestigte Literatur zurückgreifen, sondern muss Denkanstöße aus den unterschiedlichsten Quellen der Soziologie und Philosophie zusammen tragen und verknüpfen. Meine Suche nach Denkfiguren, die verdeutlichen, was mit Aufheben gemeint ist, ist auch keineswegs abgeschlossen. Dennoch mute ich dem Leser hier einige Ideen zu.[35] Sehr hilfreich scheint mir die Figur des „Als Ob“, die für die vielen Fiktionen steht, auf die wir uns im Denken und Handeln beziehen müssen und können.[36] Ist Vertrauen im Kern auch eine Fiktion, nämlich die die Fiktion einer heilen Welt? Wie kommt es zu solchen „Vertrauensfiktionen“ ?[37] Das „Als Ob“ taucht in vielen Beschreibungen und Definitionen von Vertrauen auf, ohne dass die Autoren diese höchst eigenartige Konjunktion hinterfragen.[38] Eine eingehende Beschäftigung mit den Arten und Weisen, in denen ein „Als Ob“ funktionieren kann, scheint daher überaus viel versprechend. Klammert der Vertrauende etwa die Ungewissheit einfach aus, als ob sie nicht existierte, obwohl er sich ihrer bewusst werden könnte und eigentlich müsste?[39] Falls ja, wie ist das überhaupt möglich, ohne wieder in einen infiniten Regress zu verfallen, indem man danach fragt, woher der Vertrauende weiß, was er ausblenden kann und was nicht und wie groß und gravierend seine Ungewissheit überhaupt ist?[40] Bei William James sowie in etwas anderer Form interessanterweise auch bei Luhmann finden wir die Idee, dass Glauben und Vertrauen Willenssache sind.[41] Lässt sich der „will to believe“ übertragen in einen „will to trust“? Wenn Vertrauen ein Element des Glaubens enthält, wie insbesondere von Simmel gedacht, dann wäre so eine Übertragung zulässig. Auch im Glaubensbegriff von James steckt die Figur, dass der Glaubende zwar keine endgültige Gewissheit haben kann, jedoch überzeugt genug ist, um nach seinem Glauben zu handeln. Der entsprechende innere Ruck, den der Glaubende und auch der Vertrauende sich letztlich geben muss – über all die aus seiner sozialen Eingebettetheit und den Interaktionen mit anderen gegebenen guten Gründen hinaus – wird häufig mit einem Sprung ins Dunkle, ins Unbekannte beziehungsweise als Glaubenssprung beschrieben, den insbesondere Kierkegaard auf eindrucksvolle und beängstigende Weise in seinem Essay Furcht und Zittern thematisiert.[42] In der Literatur zu Vertrauen taucht dieser „leap of faith“ bei einer Reihe von Autoren auf, allerdings eher beiläufig.[43] Der Dramatik, die dieser Begriff enthält, steht entgegen, wie problemlos und unbewusst Vertrauen im Alltag oft ist.

 

So gewöhnungsbedürftig diese hier nur kurz angedeuteten Denkfiguren zum Teil auch anmuten mögen, sie erfassen jeweils einen wichtigen Teil des hegelianischen Aufhebens, d.h. des gleichzeitigen Negierens und Aufbewahrens von Ungewissheit gegenüber den Handlungen und Intentionen anderer. Dieses Aufheben betrachte ich als den Kern des Vertrauens, ohne den wir nicht von Vertrauen sprechen können.

 

 

Management in China: Vertrauen im unvertrauten Kontext

 

Zur Illustration meines Vertrauenskonzeptes diskutiere ich nun das praktische Vertrauensproblem, das sich ausländischen Investoren und Managern stellt, die in China aktiv sind. Ich beziehe mich auf empirische Studien, an denen ich selbst direkt oder indirekt beteiligt war, um zu verdeutlichen, dass die von mir vorgeschlagenen Kategorien und Zusammenhänge plausibel sind. Ich kann mit den folgenden Ausführungen zwar nicht beweisen, dass das Aufheben von Ungewissheit der Kern des Vertrauens ist, ich kann jedoch eine neue Perspektive skizzieren, um Vertrauen zu interpretieren und in weiteren Studien genauer zu analysieren.

 

Nicht nur bei Staatsbesuchen wird deutlich, wie wichtig und wie schwierig Aktivitäten in China für die deutsche Wirtschaft bereits seit Langem sind.[44] Dass dabei Vertrauen eine wichtige Rolle spielt, ist generell daran zu erkennen, dass ein Engagement in China für ausländische Investoren typischerweise mit großer Verwundbarkeit (z.B. Verlust von kritischen Ressourcen und Wissen) und Ungewissheit (z.B. über Regeln und Motivation bei einer Kooperation) einhergeht.[45] Der typische Fall, den man vor Augen haben kann, ist der des ausländischen Managers, der Beziehungen zu chinesischen Managern und Geschäftspartnern und auch zu einfachen Arbeitern und Angestellten in China hat, denen er mehr oder weniger vertraut bzw. misstraut, was wiederum Folgen für die Entwicklung der entsprechenden interpersonellen und interorganisationalen Beziehungen hat. Im Allgemeinen ist es realistisch anzunehmen, dass gute Gründe für Vertrauen im chinesischen Kontext für ausländische Manager schwer zu finden sind. Abgesehen von den pauschalen Potenzialen, die man in der rasant wachsenden chinesischen Volkswirtschaft sieht, ist es für einzelne Investitionsprojekte und Joint Ventures überaus schwer zu ermessen, ob sie für beide Seiten wirtschaftlich attraktiv sind, ob es also Anreize gibt, die das gegenseitige Vertrauen stützen. Die Ungewissheit ist hoch, wegen mangelnder Transparenz und auch wegen mangelnden gegenseitigen Verständnisses, nicht zuletzt aufgrund kultureller Unterschiede. Bei Aktivitäten in China gibt es zumeist keine Routinen, auf die man zurückgreifen kann, und ein besonderes Problem ist auch, dass der institutionelle Rahmen unzuverlässig ist, weil er selbst dem Wandel unterliegt, politische Widersprüche aushalten muss und von Korruption geplagt ist.[46] Und für die Reflexivität als Grundlage von Vertrauen fehlen oft die eigenen Erfahrungen in China; man muss sich erst noch vertraut machen, dabei aber eigentlich schon sehr viel riskieren. Daraus folgt, dass ein ausländischer Manager, der seinen chinesischen Partnern dennoch vertraut, in sehr hohem Maß Ungewissheit aufheben muss.[47]

 

In Fallstudien über internationale Joint Ventures in China fand John Child in den Neunziger Jahren erstens eine Bestätigung für die zu erwartenden Schwierigkeiten in China, aber auch positive Fälle, in denen sich Vertrauen langsam aufbauen konnte und dabei mit der Zeit auch eine andere, tiefere Qualität annahm, so wie es einige Vertrauensmodelle[48] prognostizieren würden.[49] Er beobachtete auch, dass sich die ausländischen Manager entweder mit einer „High-Trust“- oder mit einer „Low-Trust“-Strategie auf die Chinesen einließen. Während die Low-Trust-Strategie sich kurzfristig als wirtschaftlich erfolgreicher erweisen mochte, war es die High-Trust-Strategie, die die Basis für langfristige Beziehungen legte, die dann auch Krisen überstehen konnten. Das ist nicht überraschend, doch warum konnten einige Manager unter ähnlichen Voraussetzungen mehr vertrauen als andere? Wie haben sie es geschafft, in höherem Maße die Ungewissheit aufzuheben, während die Low-Trust-Manager Ungewissheit beseitigen wollten und damit Vertrauen unmöglich machten? John Child konnte die These bestätigen, dass Vertrauen erfolgreiche Kooperationen ermöglicht, doch er beschreibt genauso Fälle, in denen die High-Trust-Strategie scheiterte – denn Vertrauen hebt Ungewissheit auf, eliminiert sie aber eben nicht. Wie man zum High-Trust-Manager wird, der ein hohes Maß an Ungewissheit absorbieren kann, konnte er mit seiner Studie noch nicht zeigen. Es wurden hierzu noch keine expliziten Studien in China durchgeführt, sodass man nur spekulieren kann, dass bei gegebenen „guten“ (bzw. doch eher unzureichenden) Gründen manchen Managern das Aufheben von Ungewissheit und damit der Aufbau von Vertrauen leichter fällt als anderen.

 

Auf die Fallstudien aufbauend analysierten John Child und ich später Daten aus einer Erhebung, bei der 615 Unternehmen in Hongkong befragt wurden, die von dort aus Betriebe im chinesischen Mutterland managen.[50] In einer klassischen Regressionsanalyse (Tabelle 1) konnten wir folgende Zusammenhänge feststellen: Die Stärke des Vertrauens in die chinesischen Partner hängt signifikant davon ab, wie sicher die Manager sich in dem chinesischen institutionellen Kontext fühlen, aber auch davon, wie sehr sie sich selbst aktiv für den Vertrauensaufbau zu den Partnern vor Ort einsetzen.[51] Jeweils für sich genommen erklären „contextual confidence“ 27% und „active trust development“ immerhin 7% der Varianz der abhängigen Variable „trust“. Ein weiteres Ergebnis war, dass Vertrauen in hohem Maße mit subjektiven und objektiven Erfolgsvariablen korreliert.[52]

 

 

 

Tabelle 1   Regressionsanalyse der Hongkong-China-Studie
Predictor of trust Beta Value of t Significance (p)

Contextual confidence:
Legal system effectiveness
Arbitrary behavior of officials
Availability of competent human resources


 0.096

–0.107

0.440


 2.475

–2.734

11.829


0.014
0.006
0.000

Active trust development:
Developing personal rapport
Managers recruited from China
Transferring practices to China

 
0.150
0.079
0.104


3.903
2.126
2.665


0.000
0.034
0.008

Control variables:
Years of Investment in China
Location in Guangdong Province


 0.075

–0.051


 2.048

–1.379


0.041
0.168

R 2 = 0.32, Adjusted R 2 = 0.31, F = 30.124, p<0.001

Quelle: Child und Möllering 2003, S. 77.

 

 

Man kann aus diesen Ergebnissen normativ schließen – zumal mit einem Erfolgsversprechen im Rücken – dass die Verantwortlichen in China weiter daran arbeiten sollten, verlässliche Institutionen zu schaffen, und dass die Manager aber nicht nur darauf warten sollten, dass dies geschieht, sondern zugleich selbst auf der Mikroebene den Vertrauensaufbau anstreben sollten.[53] Diesem Ergebnis stehen wir inzwischen sehr selbstkritisch gegenüber, und zwar nicht nur aus methodischen Gründen, sondern auch aus theoretischen. Die Daten und die Ergebnisse setzen ein „Just do it“ voraus, wodurch Vertrauen in einem viel komplexeren Verhältnis zu den anderen Variablen stehen könnte, als die Regressionsanalyse es zeigt. Insbesondere bleiben aufgrund der statischen, subjektiven Daten die Kausalzusammenhänge unklar.

 

Ich stelle die alternative These zur Diskussion, dass das Vertrauen in die chinesischen Partner durch das Aufheben von Ungewissheit einen positiven Einfluss auf das Vertrauen in chinesische Institutionen (contextual confidence) und auch auf die Bereitschaft zum aktiven Beziehungsaufbau (active trust development) hat. Ebenso führt das Vertrauen vielleicht nicht nur zu Erfolg, sondern es gilt auch umgekehrt: Der Erfolg und die daraus resultierende Zufriedenheit führt zu Vertrauen. Mit anderen Worten vermute ich, dass in der empirischen Varianz des Aufhebens von Ungewissheit, die wir jedoch nicht gemessen haben, Erklärungskraft sowohl für das Vorhandensein von Vertrauen, als auch für die Wahrnehmung von „guten Gründen“ Seitens des Vertrauensgebers liegen könnte. In der Abbildung 1 (siehe oben) zeigen daher ja auch die „Suspension“-Pfeile in beide Richtungen. Für mich wurde in unserer Studie die Bedeutung von Vernunft, Routinen und Reflexivität als Grundlagen für Vertrauen bestätigt – aber eben auch, dass im Vertrauen noch etwas hinzukommen muss, was den eigentlichen Charakter von Vertrauen ausmacht, der in zukünftigen Studien genauer untersucht werden muss.[54]

 

Ein interessantes Ergebnis am Rande der Hongkong-China-Studie war, dass Kontrolle anscheinend den Vertrauensaufbau auch fördern kann, wenn sie Ungewissheit ein Stück weit abbaut, dabei aber nicht über das Ziel hinausschießt.[55] Diese Erkenntnis tritt stark in einem weiteren empirischen Projekt hervor, bei dem ich mit Lai Si Tsui-Auch intensive Fallstudien über drei Firmen in China, die in ausländischem Besitz sind, auswerte.[56] Ich nenne hier nur einige unserer zentralen, aber noch vorläufigen Ergebnisse: Das Ausmaß, in dem die ausländischen Manager ihren chinesischen Partnern vertrauten oder misstrauten, hing stark mit dem Ausmaß ihrer wahrgenommenen Verwundbarkeit gegenüber den Partnern ab. Diese wiederum hing von institutionellen, marktlichen und technologischen Bedingungen ab. In der dynamischen Betrachtung zeigte sich im Zeitablauf, dass den ausländischen Managern die Akzeptanz von Verwundbarkeit allmählich leichter fiel, sofern sie die Chinesen zunehmend als vertrauenswürdig, aber auch als kontrollierbar wahrnahmen. Ausgehend vom jeweiligen Vertrauens- und Misstrauenslevel gelang es ihnen, diesen Prozess zu beeinflussen – durch formale Kontrollmaßnahmen einerseits, aber auch durch die eher indirekte, soziale Kontrolle, die über den Aufbau persönlicher Beziehungen und die Verständigung über gemeinsame Werte läuft.

 

Die Studie ergab sinnvolle Hypothesen, die in ausführlicheren Erhebungen mit größeren Fallzahlen überprüft werden können. Doch auch hier würde ich wiederum selbstkritisch anmerken, dass wir bei unseren Ergebnissen bisher annehmen, dass die ausländischen Manager, wenn sie denn vertrauen, Ungewissheit aufgehoben haben, trotz ihrer wahrgenommenen Verwundbarkeit. Was wir letztlich verstehen müssen, aber auch mit diesen Fallstudien bisher noch nicht gut zeigen können, ist, was es praktisch für einen Manager in China bedeutet, Ungewissheit aufzuheben (statt sie zu beseitigen) und warum einige Manager anscheinend dazu besser in der Lage sind als andere. Immerhin deutet die Studie aber meines Erachtens darauf hin, dass man das Aufheben von Ungewissheit nicht ad hoc fordern kann, sondern dass es Zeit braucht und zwar die Zeit, in der Vernunft, Routinen und Reflexivität als Grundlagen entstehen, von denen aus dann der Glaubenssprung zum Vertrauen führen kann. Wohlgemerkt, nach wie vor prägt eine Grundstimmung des Misstrauens das Engagement ausländischer Firmen in China, und es werden vielfältige Anstrengungen aller Beteiligten nötig sein, um dies zu ändern und gute Gründe für Vertrauen zu schaffen, was dann wiederum entstehen kann, wenn man erkennt, dass Ungewissheit nicht vollständig zu beseitigen ist, sondern immer auch aufgehoben werden muss. Der denkbaren Alternative, bei einem Engagement in China ohne Vertrauen auskommen zu wollen, und deren Folgen für die wirtschaftliche Effektivität und Effizienz werde ich an dieser Stelle nicht nachgehen, zumal auch in dieser Alternative die Reduktion von Ungewissheit immer an Grenzen stoßen wird.

 

 

Schlussbemerkungen

 

Für die empirische Forschung ist das Aufheben von Ungewissheit ein ungemein schwer zu operationalisierendes Phänomen.[57] Wie will man an sich selbst oder an anderen ermessen, wie mit Ungewissheit umgegangen wird? In Interviews fallen Sätze im Sinne von „Man muss es einfach mal probieren“ oder „Ich versuche, nicht daran zu denken“ oder eben ein „I just did it“. Dass Akteure Ungewissheit aufheben und dadurch zu Vertrauen kommen, lässt sich empirisch an einigen kleineren Studien plausibilisieren, muss jedoch in Zukunft noch systematisch erforscht werden.[58] Das wird schwer, doch Studien, die dies nicht versuchen, zielen letztlich am Kern des Vertrauenskonzeptes vorbei.

 

Es fehlt noch ein wichtiger Warnhinweis zur Vermeidung von Missverständnissen: Der Verweis auf das „Just do it“ soll nicht zu einem blinden Vertrauen verleiten. Vertrauen ermöglicht viele wünschenswerte Dinge, kann aber auch kläglich scheitern, denn es eliminiert ja, wie gesagt, die Ungewissheit nicht, sondern hebt sie nur auf. Vertrauen ist und bleibt ambivalent: Es wird mit Verwundbarkeit assoziiert, aber zugleich auch mit positiven Erwartungen. Diese Ambivalenz ist nicht immer leicht auszuhalten. Sie macht Vertrauen zu einem ziemlich unhandlichen Konstrukt für die Forschung und auch zu einem dubiosen Kommunikationsinhalt in privaten wie öffentlichen Angelegenheiten, zumal in der Wirtschaft und der Politik. Wer sich Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit auf die Fahnen schreibt oder gar „Vertraue mir“ oder „Just do it“ ruft, erinnert den Adressaten an dessen Verwundbarkeit und Ungewissheit, um ihn zugleich aufzufordern, diese aufzuheben. Dazu ist längst nicht jeder immer bereit. All dies ist bei dem von mir hier vertretenen Vertrauensverständnis ernsthaft zu bedenken. Die zentrale Erkenntnis bleibt jedoch: Vertrauen rekurriert auf Vernunft, Routinen und Reflexivität, entsteht letztlich aber durch das Aufheben von Ungewissheit.

 

 

 

 

Endnoten

 

1

Vgl. Lewis und Weigert (1985): „[T]o trust is to live as if certain rationally possible futures will not occur“ (S. 969) und „to trust is to act as if the uncertain future actions of others were indeed certain“ (S. 971).

 

2

Eine ausführliche Darstellung des hier vertretenen Ansatzes findet sich in Möllering (2006). Der Unterschied zwischen „Reduktion von Ungewissheit“ und „Aufheben von Ungewissheit“ ist wichtig, wie im weiteren Verlauf dieses Beitrags deutlich werden wird.

 

3

Symptomatisch ist in dieser Hinsicht der wegweisende Band von Gambetta (1988). Die meisten Monographien, Sammelbände und Sonderhefte zum Thema Vertrauen sind stark interdisziplinär angelegt, sowohl was die jeweiligen Autoren als auch die ihren Ergebnissen zugrunde liegenden Quellen angeht.

 

4

So definieren Rousseau et al. (1998, S. 395) etwa Vertrauen als „a psychological state comprising the intention to accept vulnerability based upon positive expectations of the intentions or behavior of another“.

 

5

Vgl. z.B. Deutsch (1973), Axelrod (1984), Zucker (1986), Gambetta (1988), Fukuyama (1995), Hollis (1998), Adler (2001) und auch Cook et al. (2005).

 

6

Vgl. z.B. Barber (1983), Dunn (1988), Erikson (1965), Garfinkel (1967), Giddens (1991), Misztal (1996).

 

7

Hann (1968, S. 28) findet die Idee des Vertrauens schon bei Konfuzius und argumentiert, „dass der Begriff des Vertrauens bei ihm die notwendige Vorbedingung und Grundlage aller menschlichen Beziehungen und Tugenden darstellte“. Grundtenor der Literatur der vergangenen hundert Jahre ist, dass Vertrauen in modernen Gesellschaften besonders wichtig, jedoch immer schwieriger herzustellen ist, sodass der Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem Thema häufig die Wahrnehmung eines Vertrauensverlustes ist (z.B. Schottlaender 1957, Barber 1983, Gambetta 1988, Misztal 1996, Seligman 1997, Sztompka 1999, Strulik 2005, Hardin 2006).

 

8

Vgl. u.a. Gambetta (1988) und Rousseau et al. (1998), wo jeweils auch der Eindruck vermittelt wird, dass diese allgemeinen Grundpositionen in der ansonsten durchaus kontroversen Literatur generell geteilt werden.

 

9

Vgl. für viele andere z.B. Baier (1986) oder Mayer et al. (1995). In konkreten empirischen Situationen spielt es dabei natürlich eine Rolle, was das Objekt des Vertrauens ist, wie wichtig und wertvoll es ist und in welchem Kontext der Vertrauensgeber, der Vertrauensnehmer und dieses Objekt zueinander in Beziehung stehen.

 

10

Möllering (2006), S. 111.

 

11

Welche Kombinationen und welche Relevanz unter welchen Bedingungen zu erwarten wäre, ist eine empirische Frage und würde in einer rein konzeptionellen Betrachtung auch den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

 

12

Vgl. Beckert (1996), der sich unter anderem auf die klassische Abgrenzung von risk und uncertainty bei Frank Knight bezieht und die Unterschiede zwischen ökonomischen und soziologischen Theorien beim Begriff der Ungewissheit herausstellt. Während die Ökonomie bestrebt ist, die Ungewissheit als kalkulierbares Risiko zu behandeln, gewinnt die Soziologie neue Erkenntnisse gerade durch die Anerkennung des Bestehens von Ungewissheit, die zwar durch vielfältige Mechanismen (über die ökonomisch-stochastische Kalkulation hinaus) reduzierbar, aber nicht vollständig aufzulösen ist. Hier setzt auch der Kern meines Vertrauenskonzeptes an.

 

13

Einschlägig sind hier z.B. Dasgupta (1988), Coleman (1990), Hardin (1993), Mayer et al. (1995), Ripperger (1998), Bacharach und Gambetta (2001), Ostrom und Walker (2003).

 

14

Vgl. z.B. ältere und neuere Studien darüber, wie Taxifahrer vertrauenswürdige Fahrgäste erkennen (Henslin 1968, Gambetta und Hamill 2005). Vgl. auch Dasgupta (1988) und Hardin (1993). Bei der Vertrauenswürdigkeit wird häufig zwischen der Kompetenz und der Motivation des Vertrauensnehmers unterschieden, vgl. z.B. Barber (1983). Mayer et al. (1995) unterscheiden zwischen ability, benevolence und integrity als Kategorien der wahrgenommenen Vertrauenswürdigkeit.

 

15

Pikanterweise stammt eine der schärfsten Kritiken am rationalistischen Vertrauenskonzept von Williamson (1993), der insbesondere Coleman (1990) vorwirft, mit der Rede von Vertrauen Verwirrung zu stiften, da es doch eigentlich um Berechnung („calculativeness“) ginge. Andere Autoren argumentieren, dass „Kalkülmodelle für richtiges Entscheiden an der Vertrauensfrage vorbei [greifen]“ (Luhmann 1989, S. 98), da man Vertrauen eben nicht als überprüfbare Prognose verstehen dürfe, denn „trust begins where prediction ends“ (Lewis und Weigert 1985, S. 976) und „if one trusts another, because there are incentives for the other to be trustworthy, then the vulnerability to exploitation is removed which gives trust its very meaning“ (James 2002, S. 291).

 

16

Hollis (1998) argumentiert nachdrücklich und eindrucksvoll, dass Vertrauen „within reason“ liegt, wenngleich er damit die innere Widersprüchlichkeit nicht beseitigen kann. Das gilt auch für Strulik (2005), der vorschlägt, bei Vertrauen von „Intelligenz“ statt von Rationalität zu sprechen.

 

17

Vgl. explizit Möllering (2005b) sowie in dieser Tradition zum Thema Vertrauen wegweisend Garfinkel (1963), Zucker (1986), Lane und Bachmann (1996), Bachmann (1998), Hardy et al. (1998).

 

18

Vgl. z.B. allgemein Berger und Luckmann (1969), Giddens (1984) und zu organisationalen Routinen Feldman und Pentland (2003), Becker (2004). Grey und Garsten (2001) verweisen noch einmal auf die Vertrauen fördernde Wirkung von bürokratischen Organisationsstrukturen mit ihren entsprechenden Routinen, die in neuen, post-bürokratischen Organisationsformen kompensiert werden muss.

 

19

Von der Idee des auf Institutionen basierenden Vertrauens ist es nur ein kleiner Schritt zum Problem des Vertrauens in Institutionen, vgl. Shapiro (1987), Dunn (1988), Luhmann (1989), Simmel (1989), Giddens (1990).

 

20

Vgl. zum Stichwort der Isomorphie v.a. DiMaggio und Powell (1983).

 

21

Einschlägig sind hier z.B. Garfinkels (1963) Experimente, mit denen er zeigt, wie stark die Normalität alltäglicher Interaktionen von dem aktiven Mitwirken der Betroffenen abhängt. Tiefere Analysen der Problematik könnten z.B. auf Schütz (1982) und dessen Vorstellungen von Vertrautheit, Selbstverständlichkeit und natürlicher Anschauung, aber auch thematischer und auferlegter Relevanz verweisen (vgl. Möllering 2005b).

 

22

Zu den wichtigen Zusammenhängen zwischen Normalität und Vertrauen bei Goffman und auch Garfinkel vgl. Misztal (2001). Normalität besteht zumeist passiv, kann aber auch aktiv (wieder-)hergestellt werden.

 

23

Vgl. z.B. Zand (1972), Luhmann (1989), Nooteboom (2002).

 

24

Vgl. z.B. Whitehead (1978), Giddens (1984), Sztompka (1991), Tsoukas und Chia (2002). Der Begriff des prozessbasierten Vertrauens steht bei Zucker (1986) für einen Modus der Vertrauensproduktion, der in modernen Gesellschaften relativ an Bedeutung abnimmt, da Interaktionen zunehmend zwischen Akteuren stattfinden, die auf keine direkten oder indirekten Erfahrungen miteinander zurückgreifen können.

 

25

Vgl. Blau (1964), Axelrod (1984), Luhmann (1989), Sabel (1993).

 

26

Vgl. hierzu insbes. Giddens (1994), Sydow (1998), Beckert (2002), zum Thema Vertrautmachen aber z.B. auch Luhmann (1988) und Seligman (1997) sowie das Modell von Lewicki und Bunker (1996).

 

27

Ich verstehe Vertrauen und Kontrolle als Dualität (Möllering 2005a), will die höchst spannenden und wieder äußerst aktuellen Kontroversen zum Verhältnis von Vertrauen und Kontrolle hier jedoch nicht erörtern.

 

28

Vertrauen ist nicht mit Gleichgültigkeit oder Unentschlossenheit, sondern mit positiven Erwartungen verbunden (vgl. z.B. Baier 1986). Ebenso ist man sich in der Literatur einig, dass „blindes Vertrauen“ kein echtes Vertrauen ist (z.B. Schottlaender 1957, Simmel 1989), selbst wenn Giddens (1990, S. 33) treffend bemerkt, dass jedes Vertrauen „in a certain sense blind“ ist, nämlich in dem Sinne, dass es die Ungewissheit nicht beseitigt.

 

29

Auch Giddens (1994) hat in dieser Hinsicht die theoretischen Folgen seiner Idee des aktiven Vertrauens nur ansatzweise erfasst (vgl. auch Beckert 1997, S. 377 ff.).

 

30

Simmel (1989), S. 216.

 

31

„Vertrauen ist nun nichts anderes als eine Art systeminterner ‚Aufhebung‘ eines solchen Erwartungswiderspruchs. Die Möglichkeit einer Enttäuschung wird nicht einfach ignoriert, sondern vorausgesehen und intern verarbeitet“ (Luhmann 1989, S. 87). In der englischen Fassung wird das Wort „suspension“ als Übersetzung für Aufhebung verwendet. Poggi (1979, S. x) bemerkt in seiner Einleitung zur dieser englischen Fassung beiläufig: „If Luhmann had any taste for Hegelian coquetry, he would probably speak of complexity reduction as involving Aufhebung“, und er übersieht dabei fast, dass Luhmann diesen hegelianischen Begriff in der Tat benutzt.

 

32

Hegel (1973), S. 94.

 

33

Vgl. Möllering (2001, S. 414): „Suspension can be defined as the mechanism that brackets out uncertainty and ignorance, thus making interpretative knowledge momentarily ,certain‘ and enabling the leap to favourable (or unfavourable) expectation.“

 

34

Insofern unterscheidet sich Vertrauen auch von Mut und Resignation, da das „Just do it“ des Vertrauens mit positiven Erwartungen einhergeht, während der Mutige oder der Resignierende wohl vor allem die Gefahren im Blick hat. Auch der Hoffende hat im Vergleich zum Vertrauenden eher schwache positive Erwartungen.

 

35

Möllering (2006, S. 105 ff.) stellt diese etwas ausführlicher dar.

 

36

Vgl. hierzu insbes. Ortmann (2004).

 

37

Beckert (2002), S. 37.

 

38

Z.B. bei Lewis und Weigert (1985, S. 969 und 971), Luhmann (1989, S. 8), Sztompka (1999, S. 25-26).

 

39

Giddens (1991, S. 244) definiert Vertrauen u.a. als „the vesting of confidence in persons or in abstract systems, made on the basis of a ,leap into faith‘ which brackets ignorance or lack of information“.

 

40

Good (1988, S. 42) bemerkt z.B., dass es rational sein kann, angesichts der Grenzen der eigenen Rationalität nicht-rational zu handeln. Zieht sich der Vertrauende also am eigenen Schopfe aus dem Sumpf? „Just do it“?

 

41

Vgl. James (1948; dazu auch Beckert 2002, S. 37) sowie Luhmann (1989, S. 33), der mit Bezug auf Karl Deutsch Vertrauen als „Willensleistung“ bezeichnet.

 

42

Kierkegaard (1949).

 

43

Vgl. z.B. Giddens (1991), Seligman (1997), Sztompka (1999).

 

44

Bundeskanzlerin Merkel war vom 21. Mai 2006 (als die erste Fassung dieses Manuskripts entstand) zu einem dreitägigen Staatsbesuch in China und wurde unter anderem von einer größeren Wirtschaftsdelegation begleitet. Zum Thema Investitionen und Management in China sind insbesondere die Bücher von Tsui und Lau (2002) und Huang (2003) zu empfehlen. Holtbrügge und Puck (2005) richten sich mit ihrem Buch an Praktiker, die ein Engagement in China erwägen oder bereits haben.

 

45

Vgl. Child (1994) und (1998).

 

46

Der chinesische Staat und seine zentralen und dezentralen Organe sind zwar mächtig, dabei zugleich aber oft auch unberechenbar, z.B. beim Schutz von Rechten, dem Erlassen von Sanktionen, der Besteuerung oder dem Einhalten von zuvor gemachten Zusagen. Man kann dies als (vorübergehendes) Symptom der jüngsten Phase des institutionellen Wandels oder aber als (dauerhaftes) Merkmal der von Chaos und Willkür der Herrscher über die Bevölkerung geprägten chinesischen Geschichte betrachten (vgl. z.B. Fukuyama 1995).

 

47

Vgl. Child (1998), Child und Möllering (2003).

 

48

Child bezieht sich insbesondere auf Lewicki und Bunker (1996) und McAllister (1995).

 

49

Vgl. hierzu und zum Folgenden Child (1998), zu diesem Thema auch Mohr (2002).

 

50

Vgl. Child und Möllering (2003). Hongkong ist seit 1997 Teil der Volksrepublik China, hat jedoch in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht weiterhin ein eigenes System, weshalb es gerechtfertigt ist, die Aktivitäten der Hongkong-Manager in China als „cross-border management“ oder „foreign management“ zu bezeichnen. 91% der von uns befragten Manager waren Hongkong-Chinesen, die trotz der kulturellen Nähe zu angrenzenden chinesischen Provinzen, insbes. Guangdong, eine eigene Identität pflegen.

 

51

Wie kann man Vertrauen messen? Dies ist in der Tat sehr umstritten (vgl. z.B. Möllering 2006, S. 135-140, Seppänen et al. 2006). Spieltheoretische Studien messen die Häufigkeit kooperativen Verhaltens in experimentellen Versuchsanordnungen, während stärker sozialpsychologisch orientierte Studien Vertrauen als Einstellungsvariabel verstehen und quantitativ erfassen, indem sie den Grad der Zustimmung zu aus so genannten Likert-Items zusammen gesetzten Skalen messen, z.B.: „If I shared my problems with this person, I know (s)he would respond constructively and caringly“ (McAllister 1995). Die Messung erfolgt dabei zumeist indirekt, d.h. nicht über die einfache, aber unzuverlässige Frage: „Wie stark vertrauen Sie X?“ In Child und Möllering (2003, S. 75) wird zur Messung von Vertrauen ebenfalls mit einer Likert-Skala gearbeitet, die aus neun Items besteht: „everyday statements as proxies for how trusting managers would describe trusted local staff: not being let down, sharing objectives, confidently delegating, seldom conflicting, openness, friendship, good atmosphere. The assumption is that a manager who agrees strongly with such descriptions of local staff has positive expectations of their intentions and behavior and would accept vulnerability towards them.“ Bei geringer Zustimmung zu diesen Items wird entsprechend gefolgert, dass bei der befragten Person geringes Vertrauen vorliegt.

 

52

Korrelationskoeffizienten: Vertrauen und Performance (r=0.46; p<0.001), Vertrauen und Gewinnwachstum (r=0.18; p<0.01), Vertrauen und Umsatzwachstum (r=0.15; p<0.01); Child und Möllering (2003, S. 77).

 

53

Vgl. Child und Möllering (2003), S. 78.

 

54

Wenn man so will, setzt die Messung von Vertrauen als positivem Erwartungszustand ja stets nach dem Aufheben von Ungewissheit an bzw. setzt voraus, dass dies bereits erfolgt ist. Das gilt auch für unsere Studie, sodass wir über den Einfluss des „Just do it“ an dieser Stelle nur spekulieren, ihn aber nicht mit unseren Daten nachweisen können. Einige qualitative Studien, die das Aufheben von Ungewissheit (in anderen Kontexten als dem Management in China) behandeln, werden in Möllering (2006, S. 121 ff.) kurz vorgestellt.

 

55

Bei dem Item „transferring practices to China“ in Tabelle 1 ging es vor allem auch um Kontrollpraktiken, die die chinesischen Partner jedoch positiv aufnahmen, da sie Klarheit und Verlässlichkeit schufen.

 

56

Hierzu gibt es bisher nur erste Konferenzpapiere: Tsui-Auch et al. (2005), Tsui-Auch und Möllering (2006).

 

57

Vgl. Möllering (2001), S. 416 f.

 

58

Interessanterweise kann man die empirische Realität des Phänomens des Aufhebens von Ungewissheit besonders gut in Studien erkennen, die aus dem Bereich der Medizin- und Professionssoziologie stammen (wie z.B. schon bei Parsons 1978). Bei der Interaktion zwischen Ärzten und Patienten ist häufig zu beobachten, dass die Patienten eine Art Glaubenssprung machen müssen, wenn es darum geht, in bestimmte medizinische Maßnahmen einzuwilligen (vgl. z.B. Bernstein et al. 2004, McKneally et al. 2004, Brownlie und Howson 2005). Vgl. speziell hierzu auch Möllering (2006), S. 121-125. Über neuere Forschungen zur „Heilkraft des Vertrauens“, wenn es denn erst einmal erlangt ist, schreibt unlängst Albrecht (2006) in DIE ZEIT, der dabei jedoch kaum neuere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zur Entwicklung von Vertrauen auf Seiten des Vertrauensgebers (Patienten) berücksichtigt und vorwiegend auf die Vertrauenswürdigkeit erhöhende Äußerlichkeiten auf Seiten des Vertrauensnehmers (Ärzte) eingeht sowie auf die naturwissenschaftlichen Erklärungen der medizinischen Wirkung und Wirksamkeit von Vertrauen.

 

 

 

 

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[Zuletzt geändert am 29.03.2007 10:59]