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MPIfG Working Paper 05/4, Mai 2005
Nach dem Korporatismus: Neue Eliten, neue Konflikte
Wolfgang Streeck
,
Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung
Vorlesung an der Berlin-Brandenburgischen Akademie
der Wissenschaften im Rahmen der Arbeitsgruppe Elitenintegration, gehalten am
13. Januar 2005 (überarbeitete Fassung). Ich danke Martin Höpner, Britta Rehder
und Christine Trampusch für vielfältige Anregungen und unentbehrliche
Unterstützung.
Zusammenfassung
Der Korporatismus der Nachkriegsphase kann als
Konfliktpartnerschaft zwischen Organisierungseliten von Arbeit und Kapital
beschrieben werden. Deren Leistung bestand darin, ihre jeweiligen Lager
zusammenzuhalten und auf mit den Eliten des jeweils anderen Lagers ausgehandelte
Kompromisse zu verpflichten. In den achtziger Jahren begann sich die
Lagersolidarität als Folge eines komplexen Zusammenwirkens exogener Schocks und
endogener Überforderung auf beiden Seiten aufzulösen. In der Selbstbeschreibung
des neuen Liberalismus erscheint die sich herausbildende post-korporatistische
Gesellschaftsformation als eine von politischen Verzerrungen befreite
Marktmeritokratie, in der jeder das und nur das bekommt, was er mit seiner
Produktivität verdient hat. Vieles spricht jedoch dafür, daß die Entwicklung
eher in Richtung auf eine Restauration betrieblicher Herrschaft und einen
Machtzuwachs der Organisationseliten vor allem der großen, aus korporatistischen
Bindungen und Verpflichtungen freigesetzten Unternehmen verläuft. Wenn dies so
wäre, sind neuartige Verteilungskonflikte zu erwarten, deren Konturen anhand
eines Vergleichs mit den liberalen Marktwirtschaften der USA und Großbritanniens
umrissen werden können.
Abstract
Postwar corporatism may be conceived as a
conflictual partnership between organizing elites of labor and capital. Their
contribution consisted in keeping their camps together and securing the
compliance of their followers with compromises negotiated with counterpart
elites. In the 1980s camp solidarity on both sides began to dissolve, due to
both exogenous shocks and endogenous overtaxing. In the self-description of the
new liberalism the emerging post-corporatist social formation appears as a
market-meritocratic order liberated from political distortion, in which everyone
earns what he has deserved with his productivity. There is reason to believe,
however, that what is in fact developing is a restoration of hierarchical
control at the enterprise level and growing power of the organizational elites
especially of large firms set free from corporatist obligations. If this was
indeed the case, one may expect new distributional conflicts of a sort
resembling conflicts in liberal market economies like Britain and the U.S.
Inhalt
Modell
Deutschland: Lagersolidarität und diversifizierte Qualitätsproduktion
Vom Angebots-
zum Wohlfahrtskorporatismus
Neue Eliten:
Organisation statt Organisierung
Neue Konflikte:
Rentabilität statt Beschäftigung
Zum Schluß:
Liberalisierung als Freisetzung betrieblicher Herrschaft
Literatur
Thema meiner Vorlesung ist die Auflösung des deutschen
Korporatismus und mit ihr der Abstieg der Gewerkschaften aus der politischen und
wirtschaftlichen Elite des Landes. Damit löst sich ein System horizontaler
Elitenintegration auf, das für die Bonner Republik struktur- und stilbildend
war. Zugleich endet der typische Nachkriegs-Egalitarismus der deutschen
Gesellschaft, der die Klassenkonflikte des Industriezeitalters befriedet und die
am wenigsten ungleiche Lohnstruktur aller großen Industriegesellschaften
hervorgebracht hatte. Die von vielen gefeierte Befreiung von Wirtschaft und
Gesellschaft aus den Fesseln des Korporatismus geht mit einem fundamentalen
Strukturwandel der Eliten und ihres Verhältnisses zu den Nichteliten einher. Mit
ihm bilden sich neue Verteilungskonflikte heraus, für deren Regelung das
institutionelle Repertoire der Nachkriegszeit wenig geeignet erscheint.
Korporatismus kann als Kartell von Eliten definiert
werden, die trotz unterschiedlicher Interessen dauerhaft miteinander
kooperieren. Dem demokratischen Neo-Korporatismus der Nachkriegszeit unterlag
ein Klassenkompromiß zwischen Kapital und Arbeit, der von einem unterstützenden
Interventionsstaat moderiert wurde. In ihm wurde die vertikale
Herrschaftsbeziehung zwischen den beiden Großklassen der Industriegesellschaft
sozusagen um neunzig Grad gedreht und als horizontale Verhandlungsbeziehung
zwischen ihren Repräsentanten „auf gleicher Augenhöhe“ institutionalisiert. Dies
war, in Deutschland wie in den anderen Gesellschaften Westeuropas, der
Grundstein des zweiten „postwar settlement“ des 20. Jahrhunderts. Mit ihm wurde
gesichert, daß die fundamentalen Interessen jeder der beiden Seiten von der
anderen sowie von der staatlichen Politik berücksichtigt werden mußten:
Vollbeschäftigung, Tarifautonomie und Wohlfahrtsstaat für die arbeitende,
Privateigentum, Marktwirtschaft und Freihandel für die besitzende Klasse.[1]
Eliten entstehen durch gegenseitige Anerkennung. Zur Elite
gehört, wer von ihr als Mitglied akzeptiert wird. Im Korporatismus der
Nachkriegsperiode konstituierten sich die Führungsgruppen der Arbeitnehmerschaft
und des Unternehmertums gemeinsam als zwar intern differenzierte, wichtige
Entscheidungen aber nur im Konsens treffende integrierte Funktionselite einer
zugleich kapitalistischen und demokratischen politischen Ökonomie. Symbolisch
manifestierte sich die Anerkennung des Kapitalismus durch die Arbeiterbewegung
in der Abkehr des Godesberger Programms der SPD von Sozialisierungsforderungen
und in dem allmählichen Abrücken der Gewerkschaften von politischen Streiks
(Bergmann et al. 1975). Dem entsprachen auf seiten des Kapitals die Hinnahme des
Flächentarifvertrags und der Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene
sowie eine sozialpartnerschaftliche Rhetorik, die es den Gewerkschaften
ermöglichte, sich als gleichberechtigte Partner, wenn nicht zu fühlen, so doch
nach außen und im Verhältnis zu ihren Mitgliedern darzustellen.
Mit der Anerkennung der Gewerkschaften durch die
wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes als „birds of the same
feather“ ist es heute vorbei. Seinen sichtbarsten Ausdruck findet dies in
der nach einem Vierteljahrhundert neu aufgenommenen Polemik gegen die
paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Die Forderungen der
Wirtschaftsverbände, insbesondere des BDI, nach Verkleinerung der Aufsichtsräte,
Reduzierung der Arbeitnehmerbeteiligung auf ein Drittel der Sitze und Ausschluß
„betriebsfremder“ Gewerkschafter werden zum Teil mit einer irreparablen
sachlichen Inkompetenz der Arbeitnehmervertreter begründet. Schon hierin liegt
eine symbolische Herabsetzung der Gewerkschaften, wie sie im politischen Komment
der Bonner Republik spätestens seit 1967 völlig ausgeschlossen war. Dasselbe
gilt erst recht für das Argument, in Anwesenheit von Betriebsräten und
Gewerkschaftern sei „gute corporate governance“ auch deshalb unmöglich, weil sie
die Vertreter der Anteilseigner daran hindere, den Mitgliedern des Vorstands die
nötigen schonungslosen Fragen zu stellen. Daß Eliten mitunter nur dann frei
sprechen und ihre Pflicht tun können, wenn sie vor allzu genauer Beobachtung
durch die Nichteliten geschützt sind, war und ist den Gewerkschaftsführern des
„deutschen Modells“ alles andere als unbekannt. Deshalb bereitet es ihnen auch
keine große Mühe, in der Forderung nach Wiederherstellung der sozialen
Exklusivität des Aufsichtsrats als Voraussetzung einer wirksameren
Unternehmenskontrolle das zu erkennen, was sie tatsächlich ist: die Aufkündigung
ihrer eigenen Zugehörigkeit zur Führungselite der deutschen Wirtschaft.[2]
Gewerkschaften verlieren auch in anderen Ländern an
Einfluß. Zu den Ursachen zählen eine Reihe von langfristigen Veränderungen in
Arbeitswelt, Sozialstruktur und soziokulturellen Milieus entwickelter
Industriegesellschaften. Wachsende Teile der Arbeitnehmerschaft sind heute nicht
nur besser ausgebildet als früher, sondern üben Tätigkeiten aus, bei denen die
rentable Verwendung ihres „Humankapitals“ Arbeitsbedingungen erfordert, die zu
einem nicht unerheblichen Teil ihren Wünschen entsprechen. In dem Maße aber wie,
im Jargon moderner Unternehmensführung, die „Motivation der Mitarbeiter“ zum
„wichtigsten Betriebskapital“ wird, kann den Beschäftigten eine kollektive
Aushandlung ihrer Arbeitsbedingungen entbehrlich oder sogar unerwünscht
erscheinen. Für die Gewerkschaften ergibt sich daraus die Gefahr der
Auswanderung einer an Zahl zunehmenden neuen Arbeitnehmeraristokratie aus den
von ihnen organisierten Solidaritätsverbänden. Gleichzeitig wächst am unteren
Rand des Arbeitsmarkts eine vielfältig zusammengesetzte Gruppe von irregulär
Beschäftigten, unter ihnen immer mehr Immigranten mit niedriger
Organisationsfähigkeit und geringer Organisierbarkeit, die die gewerkschaftlich
ausgehandelten Arbeitsbedingungen im organisierten Sektor zu unterbieten drohen.
Als Folge der Unwilligkeit der Starken und der Unfähigkeit der Schwachen zu
kollektiver Organisierung schrumpft die organisierte Mitte in der Tendenz immer
weiter zusammen, und mit ihr die von den Gewerkschaften mobilisierbare
politische und wirtschaftliche Macht.
Allerdings differieren die tatsächlichen Auswirkungen
dieses Prozesses von Land zu Land erheblich, weil ähnliche strukturelle
Veränderungen auf unterschiedliche Formen der Institutionalisierung
gewerkschaftlicher Interessenvertretung treffen. „Workers don’t organize unions;
unions organize workers“, so kurz und bündig das Resultat umfangreicher
vergleichender Forschung über gewerkschaftliche Organisationsgrade. Auch der
Zusammenhang zwischen den Mitgliedszahlen der Gewerkschaften und ihrem Einfluß
ist nicht überall derselbe. In Deutschland konnten die Gewerkschaften nie mehr
als ein Drittel der Arbeitnehmer organisieren, während zugleich die
Arbeitsbedingungen von mehr als 80 Prozent der Beschäftigten durch den
Flächentarif geregelt und mehr als zwei Drittel der Arbeitnehmerschaft durch
(überwiegend gewerkschaftlich besetzte) Mitbestimmungsorgane in Betrieb und
Unternehmen vertreten wurden. Wer Aufstieg und Fall des deutschen Korporatismus
verstehen will, darf deshalb nicht nur die Mitgliedschaft der Gewerkschaften und
Arbeitgeberverbände, sondern muß auch die politischen Institutionen betrachten,
auf denen die Handlungsmacht der Gewerkschaften und der Status ihrer
Führungsgruppen mindestens ebenso beruhen wie auf ihren Organisierungserfolgen.
Daß dieser Zusammenhang auf Arbeitgeberseite nicht unbekannt ist, zeigen nicht
zuletzt die erwähnten neuerlichen Attacken auf eine der wichtigsten
institutionellen Bastionen gewerkschaftlicher Macht in Deutschland, die
Mitbestimmung.[3]
Im folgenden möchte ich zunächst zusammenfassend und
notwendigerweise vereinfacht darstellen, wie die korporatistische
Konfliktpartnerschaft (Müller-Jentsch 1993) des „deutschen Modells“ nach 1945
funktioniert hat und aufgrund welcher besonderen Leistungen sie so lange
funktionieren konnte. Danach wende ich mich den Ursachen ihres Verfalls zu und
beschreibe, ebenso skizzenhaft, zunächst die Transformation des deutschen „Produktivitäts“-
in einen sich selbst unterminierenden „Wohlfahrtskorporatismus“ und anschließend
den Zusammenbruch der korporatistischen Elitenkooperation während der neunziger
Jahre, wie er vor allem am Scheitern der beiden Versuche – zunächst unter Kohl
und dann unter Schröder – deutlich wurde, ein „Bündnis für Arbeit“ zu
etablieren. Der letzte Teil meines Vortrags befaßt sich, in unvermeidlich
spekulativer Form, mit den sich herausbildenden neuen Elitestrukturen und
Konfliktlinien nach dem Ende des Korporatismus.
Modell Deutschland: Lagersolidarität und diversifizierte
Qualitätsproduktion
Dem Korporatismus der alten Bundesrepublik unterlag ein
verhandlungsdemokratischer Friedensschluß zwischen Arbeit und Kapital. Möglich
war dieser, weil beide Seiten von Organisationseliten repräsentiert wurden, die
sich darauf verstanden, nach innen Solidarität durchzusetzen und nach außen
Kompromisse und Kooperation auszuhandeln (Weitbrecht 1969). Die Probleme, die
sie dabei zu lösen hatten, waren ähnlich genug, um über alle
Interessenunterschiede hinweg zwischen den Führungsgruppen beider Lager ein
Mindestmaß an Zusammenhalt zu stiften, das aus gegenseitigem Respekt für die
erbrachten Organisations- und Verpflichtungsleistungen erwuchs. Verstärkt wurde
die Solidarität der Teileliten des deutschen Korporatismus durch die frische
Erinnerung an die Katastrophe der nationalsozialistischen Diktatur sowie durch
die auf deutschem Boden stattfindende internationale Systemkonkurrenz zwischen
Kapitalismus und Kommunismus, die Alternativen zu einem pragmatischen
Interessenausgleich nahezu ausschloß.
Was die Wahrung der Disziplin nach innen anging, so
organisierten beide Lager ihre Mitglieder in breite, geleitzugartige
Risikogemeinschaften, die stetige und annähernd gleiche wirtschaftliche
Zugewinne bei einem hohen Maß an gegenseitiger Absicherung versprachen,
allerdings zum Preis eines Verzichts auf kurzfristige windfall profits.
Auf seiten der Arbeitnehmerschaft geschah dies in erster Linie durch den
Flächentarif, auf seiten des Kapitals durch die vielfältigen Verflechtungen
zwischen den Großunternehmen im Rahmen der sogenannten „Deutschland AG“ (Beyer
2003; Windolf und Beyer 1995). Der Flächentarif nutzte die hohe
Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in gut verdienenden Unternehmen, um die
niedrige Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer in Grenzbetrieben aufzustocken;
Ergebnis war eine komprimierte Lohnstruktur, in der die am Markt benachteiligten
Beschäftigten mehr und die vom Markt begünstigten weniger verdienten, als sie
verdient hätten, wenn sie jeweils für sich hätten verhandeln müssen bzw. können.
Unternehmen, denen der Flächentarif zu hoch war, mußten entweder ihre eigene
Produktivität erhöhen – etwa durch Aufqualifizierung ihrer Belegschaften – oder
unfreiwillig, indem sie aus dem Markt ausschieden, zur Erhöhung der
gesamtwirtschaftlichen Produktivität beitragen. Unternehmen dagegen, die mehr
hätten zahlen können, blieben durch den betriebsverfassungsrechtlichen
Tarifvorrang sowie das Streikmonopol der überbetrieblichen
Industriegewerkschaften vor weiteren Forderungen ihrer Belegschaften, oder doch
ihrer betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen, geschützt, jedenfalls solange
sie den ihnen zugestandenen Spielraum zu Investitionen nutzten, die neue
Beschäftigung für die Arbeitnehmer ausgeschiedener Grenzunternehmen schufen.
Daß sie dies tatsächlich konnten, lag wiederum nicht zum
geringsten Teil an den vielfältigen kooperativen Beziehungen zwischen
Unternehmen und Finanzinstituten, die den inneren Zusammenhalt des anderen,
kapitalistischen Lagers gewährleisteten. Weitreichende Verflechtungen durch
strategisch motivierte gegenseitige Beteiligungen eigneten sich nicht nur zu
kollektiver Disziplinierung, sondern schützten die Unternehmen der „Deutschland
AG“ auch vor dem Druck des Kapitalmarkts und erlaubten ihnen, Investitionen
selbst dann zu tätigen, wenn die absehbaren Renditen niedrig waren. Damit
konnten sie, wenn sie dies wollten, in die Breite wachsen und zu
multi-industriellen Konglomeraten mit stabiler, gegen das Auf und Ab einzelner
Märkte oder Wirtschaftsbereiche abgesicherter Durchschnittsrendite werden. Zum
Risikoausgleich im Inneren der Unternehmen hinzu trat ein Ausgleich der Risiken
zwischen ihnen in Gestalt langfristiger Kreditvergabe durch geduldige
Hausbanken, die niedrige Profitraten tolerierten, sofern sie mit hohem Wachstum
einhergingen, und sich mit niedrigen Zinsen begnügten, weil sie aufgrund ihrer
engen Beziehungen zum Management der Unternehmen die Risiken ihrer Kredite
einschätzen und beeinflussen konnten. Überdies standen die Banken bereit, im
Rahmen einer langfristig angelegten, vorstaatlich-privaten Industriepolitik im
nationalen Interesse einzugreifen, wenn einzelne Unternehmen in eine Krise
gerieten, sich solidarischen Rettungsaktionen für andere verweigerten oder von
unerwünschten Übernahmen bedroht waren. Parallel dazu organisierten die
Arbeitgeberverbände, denen so gut wie alle Unternehmen praktisch obligatorisch
angehörten, Solidarität am Arbeitsmarkt zwischen Firmen, die ansonsten
miteinander konkurrierten, in Analogie zur Solidarität der Arbeitnehmer, bei
denen die Belegschaften prosperierender Unternehmen einen Teil ihrer Kampfkraft
opferten, um annähernd gleichen Lohn für gleiche Arbeit auch dort möglich zu
machen, wo Zahlungsfähigkeit oder Zahlungswilligkeit der Arbeitgeber hinter dem
Durchschnitt zurückblieben.
Soziale Orte horizontaler Elitenintegration, an denen die
Eliten der beiden Lager die Interessen ihrer Mitglieder gegeneinander
ausglichen, waren Tarifpartnerschaft und Mitbestimmung, insbesondere die
Mitbestimmung in den Aufsichtsräten zunächst der Schwerindustrie und, nach 1976,
aller großen Kapitalgesellschaften.[4] Verkörpert wurde die korporatistische
Konfliktpartnerschaft zwischen Arbeit und Kapital, wie sie sich in den ersten
anderthalb Jahrzehnten der Bundesrepublik herausgebildet hatte, von den sehr
bald unangefochtenen Führungsfiguren der Gewerkschaft und des
Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie, Otto Brenner und Hanns-Martin
Schleyer. Die Biographien und politischen Weltbilder der beiden Männer, die das
spätere „Modell Deutschland“ gemeinsam geprägt haben, hätten unterschiedlicher
nicht sein können. In der Tat erscheint es auf den ersten Blick fast
unbegreiflich, daß der frühere NS-Studentenführer und SS-Offizier Schleyer und
der Linkssozialist Brenner, der während des Krieges als Arbeiter in der
Rüstungsindustrie Sabotageaktionen organisiert hatte, jemals so etwas wie
Vertrauen oder gar Respekt füreinander entwickeln konnten. An dramatischen
Konflikten zwischen den von ihnen geführten Organisationen hat es denn auch
nicht gefehlt, bei denen sich Brenner – der „eiserne Otto“, wie er genannt wurde
– als erfolgreicher Organisator von Flächenstreiks einen Namen machte und
Schleyer der erste war, der die Unternehmen seines Organisationsbereichs dazu
bewegen konnte, in solidarischer Abwehr gewerkschaftlicher Forderungen ihre
Arbeitnehmer auszusperren, und zwar trotz hohen wirtschaftlichen Wachstums und
entsprechend gut gehender Geschäfte.
Gerade in diesen Konflikten im Rahmen dessen, was früher
einmal „institutionalisierter Klassenkampf“ hieß, dürfte freilich die Erklärung
dafür zu suchen sein, daß spätestens in den sechziger Jahren die Eliten von
Arbeit und Kapital gelernt hatten, wie selbstverständlich von gleich zu gleich
miteinander umzugehen. Bei allen Unterschieden war Brenner und Schleyer
gemeinsam, daß sie es vermocht hatten, ihre jeweiligen Lager so straff zu
organisieren, daß sie in deren Namen glaubwürdig miteinander verhandeln, das
heißt zugleich ihren Forderungen nach außen Nachdruck verleihen und eingegangene
Kompromisse nach innen durchsetzen konnten. Darin, daß sich beide unter
Bedingungen von Marktwirtschaft und Demokratie als erfolgreiche Organisatoren
kollektiv-politischen Verbandshandelns erwiesen hatten, waren ihre Erfahrungen
und Lebensleistungen nach 1945 ähnlich genug, daß sie sich im jeweils anderen
wiedererkennen und damit gegenseitig anerkennen konnten. Im übrigen dürfte
keinem von ihnen entgangen sein, daß ihr eigener Erfolg als Verhandlungsführer
auch davon abhing, daß ihr Gegenüber sein Handwerk ebenso gut beherrschte und
genauso erfolgreich war wie sie selber.[5] So konstituierte sich die Elite des
deutschen Korporatismus als Partnerschaft derjenigen, die durch ihre
Beherrschung der Kunst des Interessenausgleichs vermittels effektiver
Organisierung und Repräsentation großer Gruppen dazu beitrugen, den prekären
Zusammenhalt der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft über die Klassenspaltung
des sich entfaltenden liberalen Kapitalismus hinweg zu sichern.
Ihre Ergänzung fand die Tarifautonomie in der
betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung, wie sie sich in den
formativen Jahren des „deutschen Modells“ aus sozialistischen und
sozialkatholischen Ursprüngen heraus entwickelt hatte und in den siebziger
Jahren mit Zustimmung von CDU und SPD auf ihr gegenwärtiges Niveau weiter
ausgebaut wurde. Weil die Mitbestimmung das Gewicht der Belegschaftsinteressen
vor allem in den Großunternehmen erhöhte, konnten die Belegschaften und ihre
Vertreter darauf vertrauen, daß die ihnen vom Flächentarif zugemutete
Lohnzurückhaltung nicht oder nicht nur zu erhöhten Ausschüttungen an die
Aktionäre genutzt wurde, sondern vor allem für weiteres Unternehmenswachstum.
Auch konnte Mitbestimmung helfen, Arbeitnehmern, die vom unvermeidlichen
Strukturwandel der Wirtschaft – zunächst – negativ betroffen waren, ein hohes
Maß an sozialer Absicherung zu verschaffen. Damit entwickelte sich im Laufe der
Jahre und Jahrzehnte der Betriebsrat zu einem unentbehrlichen Partner der
Unternehmensleitung bei der Sicherung der Zusammenarbeit zwischen Management und
Belegschaft am Arbeitsplatz und im Prozeß der Produktion.
Darüber hinaus und nicht zuletzt bot die Präsenz der
wichtigsten Gewerkschaftsführer, zunächst der IG Metall und der IG Bergbau,
später auch der IG Chemie, in den Aufsichtsräten der deutschen Großunternehmen
immer wieder Gelegenheit zu informellen Kontakten zwischen dem Führungspersonal
der beiden Lager, bei denen Informationen geteilt, Meinungen ausgetauscht,
Perspektiven verglichen, Initiativen angekündigt, Reaktionen getestet und
Kompromißmöglichkeiten erkundet werden konnten. Daß sie nunmehr in den
Schaltzentralen der deutschen Wirtschaft ein- und ausgingen und den
Entscheidungsgremien derselben Unternehmen als gleichberechtigte Mitglieder
angehörten, die noch zwei Jahrzehnte vorher einen Staat unterstützt hatten, der
die Arbeiterbewegung hatte physisch vernichten wollen, war für die
Gewerkschaften der Bundesrepublik die sicherste Beglaubigung dafür, daß die
Wirtschaft des Landes nicht mehr nur von den Kapitaleignern und ihrem
Führungspersonal, sondern auch von ihnen selber gelenkt wurde. Auch nach außen,
gegenüber der Bevölkerung, symbolisierte die unternehmerische Mitbestimmung der
Arbeitnehmer und ihrer Organisationen, daß die Zeiten vorüber waren, in denen
das Kapital Herr im eigenen Hause war und die Macht über die Wirtschaft
ungeteilt in den Händen nur einer, der kapitalistischen Klasse lag.
Die korporatistische Integration der Gewerkschaftsspitzen
in die deutsche Nachkriegselite unterstützte den wirtschaftlichen Wiederaufbau
nach 1949, indem sie es den Gewerkschaften ermöglichte, von ihren ursprünglichen
Forderungen nach einer antikapitalistischen „Neuordnung“ von Wirtschaft und
Gesellschaft Schritt für Schritt abzurücken. Seine hohe Zeit erlebte das
„deutsche Modell“ allerdings in den siebziger und achtziger Jahren, als die
fordistische Wachstumsdynamik nicht nur in Deutschland erlahmt war und eine
weltweite Suche nach neuen Grundlagen wirtschaftlicher Prosperität einsetzte,
die in vielen vergleichbaren Ländern von Arbeitskonflikten und steigenden
Inflationsraten begleitet war. In Deutschland dagegen erzwang das Nebeneinander
starker Gewerkschaften, die weiterhin für hohe Löhne und eine niedrige
Lohnspreizung zu sorgen vermochten, mit einer zunehmend monetaristisch
agierenden Zentralbank eine breite Umstrukturierung des Produktionsapparats in
Richtung auf das, was später als „diversifizierte Qualitätsproduktion“
bezeichnet wurde: eine einzigartig vielfältige Palette anspruchsvoller, auf
Nischen im Weltmarkt hin konstruierter, qualitativ überlegener Produkte, die die
hohen und wenig differenzierten Löhne ihrer Produzenten durch ihre im
internationalen Wettbewerb erzielten hohen Preise rechtfertigen konnten (Streeck
2001).
Ermöglicht wurde die am oberen Rand des Weltmarkts
orientierte Anpassung der deutschen Unternehmen an die veränderten
Wirtschaftsbedingungen auch durch zufällig „passende“ nationale Traditionen des
Ingenieurwesens und der beruflichen Bildung, die im kulturellen Hintergrund der
Ära der fordistischen Massenproduktion überlebt hatten. Ebenso wichtig aber
waren die Institutionen der Mitbestimmung, die durch die Gesetze von 1972 und
1976 gestärkt zu Kristallisationskernen betrieblicher Produktivitätskoalitionen
wurden, die den Unternehmen Spielraum für Investitionen in Anlagen, Produkte und
Qualifikationen verschafften, indem sie sie gegen opportunistische
Lohnforderungen ebenso absicherten wie die Belegschaften gegen eine
opportunistische Beschäftigungspolitik ihrer Arbeitgeber. Bis gegen Ende der
achtziger Jahre – als Westdeutschland zur führenden Wirtschaftsmacht Europas und
zusammen mit Japan zum industriepolitischen Vorbild der Vereinigten Staaten
wurde (Dertouzos et al. 1989) – sorgte die korporatistische Sozialpartnerschaft
durch die Zwänge ebenso wie durch die Gelegenheiten, die sie für die unter ihrem
Regime produzierenden Unternehmen schuf, für wachsende Prosperität in einer nach
außen ebenso offenen wie nach innen vergleichsweise egalitären Volkswirtschaft.
Vom Angebots- zum Wohlfahrtskorporatismus
Warum konnte das vielbewunderte „Modell Deutschland“ –
eine wirtschaftliche und soziale Ordnung, die internationale
Wettbewerbsfähigkeit und Prosperität im Inland mit einem hohen Maß an
Gleichheit, sozialer Sicherheit und politischer Stabilität verband – nicht
einfach fortbestehen? Hierauf gibt es viele Antworten, auf die ich an dieser
Stelle nicht im einzelnen eingehen kann.[6] Aus politischer Sicht erschien die
Krise des deutschen Korporatismus spätestens beim Scheitern des Versuchs der
Regierung Schröder, Wirtschaft und Gewerkschaften für ein „Bündnis für Arbeit“
zu gewinnen, als Krise der Fähigkeit seiner Eliten, ihre jeweiligen Lager als
organisierte Solidargemeinschaften zusammenzuhalten. Schon bald nach der
Wiedervereinigung hatten sich die in der alten Bundesrepublik entwickelten
Methoden eines lagerpolitischen management of diversity zunehmend als ungeeignet
erwiesen, einer wachsenden Entsolidarisierung auf beiden Seiten Einhalt zu
gebieten und die Verpflichtungsfähigkeit der korporatistischen Eliten nach innen
sowie ihre Kompromißfähigkeit nach außen aufrechtzuerhalten (Beyer 2003). Als
selbst unter einer sozialdemokratischen Bundesregierung die tiefen Risse, die
sich innerhalb der beiden Blöcke und zwischen ihnen aufgetan hatten, nicht mehr
geschlossen werden konnten, begann auch in Deutschland die Götterdämmerung des
Nachkriegskorporatismus.
Die Ursachen hierfür gingen bis weit in die Blütezeit des
„deutschen Modells“ zurück. Auch die Wiedervereinigung hat die Probleme, die
sich in den neunziger Jahren schließlich als unlösbar erwiesen, lediglich
radikalisiert; politisch auffällig waren sie schon im Jahrzehnt davor geworden.
Zur kritischen Zone entwickelte sich zunehmend die Schnittstelle zwischen
Tarifautonomie und Sozialpolitik, oder anders: zwischen korporatistischer
Sozialpartnerschaft und der staatlichen Gewährleistung ihres Funktionierens.
Noch in der Aufbauphase der Bundesrepublik waren im Zusammenspiel zwischen
Montanmitbestimmung und Sozialstaat Instrumente eines „sozialverträglichen“
Beschäftigungsabbaus in Krisenbranchen entwickelt worden, mit denen
überschüssige Arbeitnehmer statt in die Arbeitslosigkeit frühzeitig in den
Ruhestand geschickt werden konnten.[7] In der in den siebziger Jahren beginnenden
gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungskrise wurden diese in fast alle Bereiche
übernommen. Damit wurde die Frühverrentung, neben der Steigerung der
Produktivität durch Strukturwandel hin zu „diversifizierter
Qualitätsproduktion“, zur zweiten Routineantwort auf den latenten Dauerkonflikt
zwischen der seit 1974 strikt monetaristischen Bundesbank und den
Gewerkschaften, die nach der traumatischen Erfahrung der „wilden Streiks“ von
1969 weder von ihrer solidarischen, die Lohnstruktur komprimierenden Lohnpolitik
abgehen noch sich jemals wieder auf Lohnleitlinien irgendwelcher Art einlassen
wollten.
Weiter ausgebaut wurde der Einsatz der sozialen
Sicherungssysteme zur Stillegung von Arbeitskraft nach dem gewonnenen Streik der
IG Metall von 1984 für eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. In dessen Folge
lernten die Unternehmen, die von der Gewerkschaft notgedrungen zugestandene
Flexibilisierung der Arbeitszeit zur Erhöhung der Produktivität durch Steigerung
der Arbeitsintensität und so zur Senkung der Lohnstückkosten auch bei hohen
Reallohnzuwächsen zu nutzen. Daß die Gewerkschaften auf letzteren auch dann
bestehen konnten, wenn die Unternehmen im Gegenzug ihre neugewonnene
Dispositionsfreiheit über das Lohn-Leistungs-Verhältnis dazu verwendeten, „mehr
mit weniger“ zu produzieren und ihre Belegschaften entsprechend zu verkleinern,
lag daran, daß Unternehmensleitungen und Betriebsräte über die Möglichkeit
verfügten, überschüssige Arbeitskräfte ohne große Schwierigkeiten und in
gegenseitigem Einverständnis in die Frühverrentung zu entlassen. Damit war die
Sozialpolitik, indem sie die Gewerkschaften der Sorge über mögliche negative
Beschäftigungswirkungen ihrer Lohnabschlüsse enthob, zum funktionalen Äquivalent
einer keynesianischen Nachfragesteuerung geworden (Streeck und Yamamura 2001).
Zugleich versetzte sie die Unternehmen in die Lage, ihre Belegschaften für den
intensiver werdenden internationalen Wettbewerb umzustrukturieren, ohne dafür
den für ihre Wettbewerbsfähigkeit ebenfalls wichtigen sozialen Frieden am
Arbeitsplatz aufs Spiel setzen zu müssen.
Gegen Ende der achtziger Jahre hatte sich außerhalb der
Personalwirtschaft der Großunternehmen die Einsicht durchgesetzt, daß die Praxis
der Frühverrentung zu weit gegangen war und beschnitten werden mußte, wenn die
Systeme der sozialen Sicherung lebensfähig bleiben sollten. Dann aber kam die
Wiedervereinigung, und mit ihr die Stunde der Sozialpolitiker, denen es gelang,
den gesamten Solidaritätsapparat der westdeutschen Bundesrepublik, so wie er
war, handstreichartig in die ehemalige DDR zu transferieren. Der anschließende
massive Rückgriff auf Rentenkassen und Arbeitsmarktpolitik zur Stillegung von
Arbeitskraft in der durch Aufwertung und Lohnangleichung ruinierten Wirtschaft
der Ostländer machte die Praxis der Frühverrentung endgültig zur dunklen
Kehrseite des deutschen Modells – und zementierte sie zugleich, indem sie ihre
Klientel über alles bis dahin vorstellbare Maß hinaus ausweitete. War es in der
Vergangenheit gelungen, die wirtschaftlichen Kosten des Zusammenhalts der
Nachkriegsgesellschaft durch sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit in
Investitionen zur Steigerung der Produktivität zu verwandeln, so ließ sich in
den neunziger Jahren die Kompromiß- und Verpflichtungsfähigkeit der beiden
Seiten des deutschen Korporatismus nur noch durch wohlfahrtsstaatliche
Subventionierung aufrechterhalten. Damit hatte sich der Angebotskorporatismus
des „deutschen Modells“ (Streeck 1984) in einen Wohlfahrtskorporatismus
verwandelt, der für sein Funktionieren auf ständige Zufuhr wachsender
öffentlicher Mittel angewiesen war (Streeck 2005).
Diese aber war alles andere als gesichert. Im
Bismarckschen Sozialstaat der Bundesrepublik mußten die zur sozialverträglichen
Stillegung von Arbeitskraft benötigten Mittel vor allem durch Beiträge der
Beschäftigten aufgebracht werden, die deren Arbeit weiter verteuerten. Zunächst
unmerklich und dann immer spürbarer setzte dies eine Spirale in Gang, bei der
die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit weitere Arbeitslosigkeit verursachte, die
zusätzliche Sozialausgaben erforderte, deren Aufbringung die Beschäftigung dann
noch weiter beeinträchtigte.[8] Zu der hierdurch bedingten, auf die Dauer
unvermeidlichen endogenen Überforderung der organisierten Solidarität kam
in den neunziger Jahren ihre exogene Verteuerung hinzu, als ein
neuerlicher wirtschaftlicher Internationalisierungsschub den Kostendruck auf die
deutschen Unternehmen erhöhte, und zwar auch in jenen Nischen des Weltmarkts, in
denen „Modell Deutschland“ so lange Marktführer gewesen war. Damit stieg nicht
nur der Solidaritätsbedarf der potentiellen und tatsächlichen Verlierer, sondern
es nahmen auch die Opportunitätskosten der potentiellen Gewinner zu, denen die
ihnen abverlangten Solidaritätsbeiträge bei ihren Anstrengungen zur Verbesserung
ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit fehlten.
Spätestens seit der Rezession von 1993 häuften sich so die
Anzeichen für eine Überforderung der wohlfahrtskorporatistischen
Solidargemeinschaften und eine beginnende Zersetzung der Lagerdisziplin auf
beiden Seiten. Die historische Leistung der korporatistischen Eliten der
Nachkriegsjahre hatte darin bestanden, große Risikopools zu organisieren und
zusammenzuhalten, in denen sie ihre jeweiligen Mitglieder zugleich schützen und
disziplinieren konnten. Das Ende der korporatistischen Elitenintegration zeigt
sich dementsprechend an einer breiten Emigration der guten Risiken aus den
umfassenden Schutz- und Schadensgemeinschaften der alten Bonner Republik und an
dem wachsenden Protest der in ihnen verbliebenen schlechten Risiken gegen ihre
zunehmende Abgabenbelastung. Die „Abwicklung der Deutschland AG“ (Beyer 2003)
begann mit der Weigerung der großen Finanzunternehmen, schwächelnde Angehörige
der deutschen Unternehmensfamilie wie vorher im Interesse „des Ganzen“
industriepolitisch aufzupäppeln und sich für deren Überleben politisch in die
Pflicht nehmen zu lassen; was sie hatten, brauchten sie selber, um sich als
global players auf den grünen Wiesen des internationalen Investment-Banking
zu etablieren. Seine Fortsetzung fand der Abschied vom ancien régime der
Nachkriegsjahre mit dem Rückzug der Banken aus den Aufsichtsräten und dem Umbau
der Konglomeratunternehmen durch „Konzentration auf das Kerngeschäft“, oder doch
der Beendigung der Quersubventionierung zwischen unterschiedlich
gewinnbringenden Unternehmensteilen, die es den Organen der Mitbestimmung auf
Unternehmensebene ermöglicht hatte, die vom Flächentarif nicht abgeschöpften
Profite der Großunternehmen mindestens teilweise in Beschäftigung schaffende und
dadurch die Sozialpartnerschaft stabilisierende Investitionen umzulenken
(Zugehör 2003). Zugleich verweigerte sich der Mittelstand zunehmend dem
Flächentarif, durch den die Großunternehmen ihren Betriebsfrieden zu sichern
schienen, ohne auf die immer schwierigere Lage der Kleineren Rücksicht zu
nehmen. (Daß einige Großunternehmen versuchten, ihre gestiegenen Arbeitskosten
auszugleichen, indem sie von ihren mittelständischen Zulieferern, die oft
demselben Arbeitgeberverband angehörten und demselben Tarif unterlagen,
Preisnachlässe verlangten, heizte den Konflikt weiter an.) Auch
Arbeitszeitflexibilisierung und Frühverrentung schienen die Großen zu
begünstigen, die ihren Belegschaftsab- und -umbau durch die
Sozialversicherungsbeiträge auch solcher Unternehmen finanzieren ließen, die für
die Nutzung der neuen Instrumente auf breiter Basis zu klein waren.
In den neunziger Jahren nahm die Zahl der Unternehmen
sprunghaft zu, die ihre Hoffnung nicht mehr auf die Solidarität der „Deutschland
AG“, sondern auf eigene Produktionsstätten im Ausland setzten. Diejenigen, die
blieben, fanden immer öfter in ihren Betriebsräten mehr oder weniger willige
Verbündete, wenn es darum ging, aus dem Flächentarif auszubrechen. Auch bei
vielen Arbeitnehmern trafen die Attacken aus Wirtschaft, Politik und
Wissenschaft auf den Flächentarif auf ein offenes Ohr, der für eine nicht
„markt-“ bzw. „leistungsgerechte“, weil an „sozialer Gerechtigkeit“ orientierte
egalitäre Lohnstruktur verantwortlich sei, die die potentiellen Gewinner im
internationalen Wettbewerb daran hindere, ihre Flexibilitätsreserven voll
auszuspielen, während sie es den Verlierern unmöglich mache, durch marktgerechte
Lohnsenkungen doch noch zu Gewinnern zu werden. Zugleich brach die
Gewerkschaftsmitgliedschaft weiter ein, und immer mehr Arbeitnehmer und
Arbeitgeber, vor allem im Dienstleistungssektor, wanderten aus dem legalen
Arbeitsmarkt in die Schwarzarbeit ab, die einen, weil sie die hohen
Lohnnebenkosten nicht bezahlen konnten oder wollten, und die anderen, weil sie
längst nicht mehr darauf vertrauten, daß sie für ihren Solidaritätsbeitrag
später entsprechende Leistungen zurückerhalten würden.
Daß unter diesen Umständen ein nationales Bündnis für
Arbeit, anders als die sich rapide ausbreitenden „betrieblichen Bündnisse“ (Rehder
2003), nicht mehr wirklich zustande kam, kann nicht erstaunen. Einer Reform des
Wohlfahrtsstaates, die den Arbeitsmarkt vom Mehltau der
Sozialversicherungsbeiträge befreit und die Finanzkrise der sozialen
Sicherungssysteme und des Staates beendet hätte, konnten die am Tropf des
Wohlfahrtskorporatismus hängenden Gewerkschaften nicht zustimmen. Die einzige
Lösung der Beschäftigungskrise, die im Weltbild insbesondere der IG Metall noch
auszumachen war, war das genaue Gegenteil einer solchen: die „Rente mit 60“.
Auch die Arbeitgeber wollten oder konnten zur Beendigung des Niedergangs des
deutschen Korporatismus keinen Beitrag mehr leisten: zu viele von ihnen hatten
schon die lockenden Ufer einer neo-liberal erneuerten Marktwirtschaft ohne
korporatistische Rücksichten fest im Blick. So blieb den Gewerkschaften,
jedenfalls zunächst, nur noch die Einigelung in den schrumpfenden Kern des alten
Systems der Arbeitsbeziehungen, unter verlustreichen Rückzugsgefechten und bei
gelegentlicher Desertion eigener Truppen, unsicherer werdender Versorgung von
außen und schrumpfenden Rationen.
Das zweite, Schrödersche Bündnis für Arbeit war schon
1999, ein knappes Jahr nach seiner Gründung, faktisch am Ende (Streeck 2003a).
Formal aufgekündigt wurde es durch den Bundeskanzler allerdings erst Anfang
2003, kurz vor seiner Regierungserklärung zur „Agenda 2010“ und nicht ohne
öffentliche Demütigung der korporatistischen Organisationen, die so lange die
tragenden Säulen des deutschen Modells gewesen waren. Seitdem regiert die
rot-grüne Bundesregierung gemeinsam mit der den Bundesrat beherrschenden
Opposition. Statt mit den Verbänden der Wirtschaft berät sich der Kanzler mit
den Chefs der großen Unternehmen, und nicht viel anders als bei Thatcher und
Blair werden die Gewerkschaften im Zentrum der politischen Macht nur noch selten
gesehen; ernst genommen werden sie schon gar nicht mehr. Der Zerfall ihrer
Mitgliedschaft geht weiter, und mit ihm der Rück- und Umbau von Flächentarif und
Sozialstaat. Die aktuellen Attacken auf die Mitbestimmung im Unternehmen als
„Irrtum der Geschichte“ (BDI-Präsident Rogowski), unter europäischen und anderen
Vorzeichen, passen ins Bild: sie sollen dem, was schon fällt, den letzten Stoß
versetzen. Ihr Ziel, ohne Zweifel, ist eine „andere Republik“.
Neue Eliten: Organisation statt Organisierung
Was kommt nach dem Zerfall des korporatistischen
Elitenkartells? Der wirtschaftliche und institutionelle Wandel seit Anfang der
neunziger Jahre hat die Zahl derer erhöht, die sich besser zu stehen glauben,
wenn sie ihr Glück außerhalb der organisierten Solidarität der Großkollektive
auf eigene Faust versuchen und die ihnen bisher abverlangten Beiträge zur
Absicherung potentieller Verlierer in ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit
investieren. Auch diejenigen, die von Markt und Wettbewerb wenig zu erwarten
haben, erwarten von der überforderten und verteuerten gesellschaftlichen
Solidarität oft noch weniger und ziehen es vor, mit eigenen Mitteln für sich
selbst zu sorgen. Es ist diese Entwicklung, die die absteigenden Eliten der
korporatistischen Großorganisationen, die unter den neuen Bedingungen weder
Streiks noch Aussperrungen organisieren können, als „Entsolidarisierung“
erfahren und beklagen.
Im gesellschaftlichen Diskurs, der unvermeidlich ein
Diskurs der Besserverdienenden ist, erscheint das Ende der korporatistisch
organisierten Solidarität als Liberalisierung – als überfällige Befreiung
wirtschaftlicher Akteure von kollektiven Verpflichtungen, die es ihnen immer
schwerer gemacht haben, sich in einem zunehmend internationalen Wettbewerb zu
behaupten, und als Abkehr von überholten Prinzipien der kollektiven
Absicherung auf Gegenseitigkeit zugunsten einer vom freien Markt regulierten
Meritokratie: einer Ordnung, in der Belohnung nach Leistung erfolgt und
Leistung darin besteht, sich am Markt durchzusetzen. Nicht mehr die Politik soll
demzufolge über Gleichheit und Ungleichheit in der Gesellschaft entscheiden,
sondern das freie Spiel der Marktkräfte, und nicht nur um der Gerechtigkeit,
sondern auch um des kollektiven Überlebens willen: Nur eine Gesellschaft, deren
Einkommensverteilung nicht politisch verzerrt, sondern leistungsgerecht durch
den Markt bestimmt wird, verfügt aus der Perspektive des neuen Liberalismus über
die Anreizstruktur, die sie braucht, um in einem immer unerbittlicher werdenden
internationalen Wettbewerb zu bestehen.
Anders als die korporatistische Konsensgesellschaft
unterscheidet eine marktmeritokratische Ordnung zwischen Gewinnern und
Verlierern. Der neue Elitendiskurs, so scheint mir, soll darlegen, daß dies auch
im Interesse der Verlierer liegt, und soll so die Gesellschaft über die
wachsende Ungleichheit ihrer Mitglieder hinweg integrieren. Allerdings
konkurrieren am Markt nicht nur Individuen, sondern auch Unternehmen, also
Organisationen, die ebenso wie die Gesellschaft als ganze und die
korporatistischen Großverbände, deren Erbe als Zentrum sozialer Integration und
politisch-ökonomischer Entscheidungen sie antreten wollen, der Kooperation ihrer
Nichteliten mit ihren Eliten bedürfen. Auch die post-korporatistische
Gesellschaft kommt deshalb ohne ein Mindestmaß an kollektiver Identifikation und
sozialer Disziplin nicht aus. In der Tat geht der Verfall des deutschen
Korporatismus mit einer spürbaren Beschleunigung der schon seit langem in ihm
wirksamen Tendenz zur Verbetrieblichung der Arbeitsbeziehungen einher,
wie sie unter anderem in der Umwandlung der betrieblichen Bündnisse zur
Dauereinrichtung zum Ausdruck kommt, und insgesamt mit einer erstaunlichen
Restaurierung des Unternehmens als Herrschaftsverband, die in anderem
Zusammenhang als die Herausbildung von „institutional firms“ (Crouch und Streeck
1997) beschrieben worden ist.
Sozial integriert werden sollen die vertikal-hierarchisch
organisierten betrieblichen Leistungsgemeinschaften des Post-Korporatis¬mus
durch den Druck eines politisch nicht nur nicht mehr gemilderten, sondern
geradezu gewollten und verstärkten wirtschaftlichen Wettbewerbs – desselben
Wettbewerbs, der die horizontal-verbandlichen Großkollektive des Korporatismus
gesprengt hatte. Zugleich soll der Wertpluralismus des Korporatismus einem
hegemonialen, sich immer weiter bis in die letzten Winkel des sozialen Systems
hinein ausbreitenden manageriellen Ethos der Rationalisierung Platz machen, das
den korporatistischen Imperativ eines solidarisch kompromittierten
Interessenausgleichs ersetzen soll. Die Ausdehnung dieses Ethos auf die
Belegschaft als ganze ist die wichtigste Aufgabe der aus den Vereinigten Staaten
importierten Sozialtechnik des Human Resource Management. Betriebsräte
sind ihr, anders als die „betriebsfremden Ideologen“ der Gewerkschaftszentralen,
durchaus willkommen, sofern sie sich, notgedrungen oder aus Überzeugung, an der
Sozialisation der Belegschaft in das neue Wertsystem von Leistung, Effizienz und
Gewinn beteiligen. Unternehmerische Mitbestimmung aber durch Vertreter eines
über die Grenzen des einzelnen Unternehmens hinweg organisierten Kollektivs
risiko-averser Lohnempfänger kann für sie nur als obsoletes Überbleibsel der
politisch statt marktwirtschaftlich (fehl-)organisierten Nachkriegsordnung
erscheinen. Für einen institutionalisierten Pluralismus unternehmensbezogener
Interessen und eine Aushandlung von Unternehmensentscheidungen zwischen diesen
ist in den nicht länger von einem Solidarverband geschützten Unternehmen der
post-korporatistischen Epoche kein Platz mehr. Das neue Leitbild des
Unternehmens als Wettbewerbs- und Leistungsgemeinschaft ist denn auch nicht mehr
pluralistisch, sondern monistisch, und die Organisationseliten, die es verlangt,
sind nicht mehr Virtuosen des internen und externen Interessenausgleichs,
sondern ausgebildete Spezialisten im Treffen richtiger strategischer
Entscheidungen, die die elitäre Auslese im Arbeitsmarkt für Spitzenpositionen im
Management überstanden haben. Betriebsräte, die es im Unternehmen nur zu
Facharbeitern, und Gewerkschaftssekretäre, die es im Grunde zu gar nichts
gebracht haben, können nur Schaden anrichten, wenn sie an Entscheidungen
beteiligt werden, von denen sie nichts verstehen. Es ist Aufgabe der
Integrationsspezialisten in den Human-Resource-Abteilungen, die
Belegschaften davon zu überzeugen, daß ihr wirtschaftliches Schicksal davon
abhängt, daß die Entscheidungseliten ihres Unternehmens freie Hand haben, das
Richtige zu tun und das Falsche zu lassen, selbst wenn sie von den Umständen des
Wettbewerbs gezwungen sein sollten, in Erfüllung ihres Auftrags die eine oder
andere Grausamkeit zu begehen.
Nicht nur die Mitbestimmung kommt so aus der Mode, sondern
auch die kollektiven Leitungsorgane der deutschen Unternehmenstradition der
Nachkriegszeit mit ihren Vorsitzenden, die nicht viel mehr waren als Erste unter
Gleichen. Heute hat auch die Deutsche Bank, deren Vorstand jahrzehntelang von
gleich zwei „Sprechern“ repräsentiert wurde, einen „starken CEO“, den niemand
daran hindern kann, seine Intuitionen umgehend in die Tat umzusetzen. Peinlich
vermieden wird freilich, als kulturelle Vorlage für den neuen Autoritarismus auf
altdeutsche Traditionen zurückzugreifen. Vorbilder sind vielmehr, so jedenfalls
wird uns durch freigebige Verwendung der englischen Sprache versichert, die über
jeden Verdacht erhabenen Marktgesellschaften des angloamerikanischen
Kulturkreises. „Führung“ bleibt ein Unwort – und kann es bleiben, seitdem man an
seiner Stelle auch „leadership“ sagen kann.
Sind die Gewerkschaften die Verlierer des Wandels, so sind
seine Gewinner zweifellos die Manager der großen Unternehmen.[9] Auf sie als die
berufenen Dirigenten der im Wettbewerb um ihr Überleben kämpfenden betrieblichen
Leistungs- und Schicksalsgemeinschaften scheinen die Legitimationsformeln der
post-korporatistischen Meritokratie vor allem zugeschnitten zu sein. Ihr neues
Image ist das von universell einsetzbaren, kosmopolitischen Finanz- und
Effizienzspezialisten, die nicht länger auf unternehmensspezifische Kenntnisse
und hausinterne Karrieren angewiesen sind und deshalb hohe Marktlöhne fordern
können. Auf seiten des Kapitals treten die neuen Organisationseliten der
Großunternehmen an die Stelle der Organisierungseliten der
korporatistischen Großverbände und lösen eine aussterbende Generation von
nationalen statesmen of industry und Feldherren des Arbeitskampfes ab,
deren spezifische Leistung im Aufbau kollektiver Verpflichtungs- und
Kompromißfähigkeit und in der Vermittlung zwischen konfligierenden Interessen
bestand und eine im Kern politische war, die in der Markt- und
Wettbewerbsgesellschaft nach dem Ende der korporatistischen Klassensolidarität
nicht mehr gebraucht wird.
Anzeichen für einen gesellschaftlichen Aufstieg des
Top-Managements waren schon länger erkennbar. Zu ihnen gehören die Zunahme
direkter Kontakte zwischen Spitzenmanagern und Politikern unter Umgehung der
traditionellen Verbände – etwa bei Veranstaltungen wie dem Internationalen
Wirtschaftsforum in Davos, bei dem Staats- und Unternehmensführer aus aller Welt
sich Jahr für Jahr ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichern; die
Einbeziehung von Promis aus der Management-Szene in die operative Politik (siehe
die „Hartz-Kommission“ und den „Innovationskreis“ des Bundeskanzlers, mit seinen
„Working Groups“ und „Horizontpapieren“ sowie dem unvermeidlichen Roland
Berger); die wachsende Zahl der Studenten der Betriebswirtschaftslehre; und die
Gründung einer fast unüberschaubaren Vielzahl privater „Business Schools“, mit
der im ehemaligen Sitz des Staatsrates der DDR untergebrachten European School
of Management and Technology in Berlin als Flaggschiff.
Nicht zuletzt aber zeigt sich der Aufstieg der Manager am
Anstieg ihrer Bezüge. Nach dem Ende seiner korporatistischen Fesselung kann das
Top-Management der großen deutschen Unternehmen nun endlich angemessen entlohnt
werden – und zwar, wie der Fall Mannesmann-Vodafone zeigt, zur Not sogar
nachträglich. Allein zwischen 1996 und 1999 stiegen die durchschnittlichen
Grundgehälter der Vorstände der 40 größten deutschen Aktiengesellschaften aus
Industrie und Handel um 66 Prozent; Aktienoptionen und Erfolgsprämien aller Art
sind dabei nicht berücksichtigt (Höpner 2004a).[10] Im Juli 2004 bezifferte das
Manager-Magazin die jährlichen Gesamtbezüge des Chefs der Deutschen Bank,
Ackermann, auf 11,1 Millionen Euro und des Vorstandsvorsitzenden von
Daimler-Chrysler, Schrempp, auf 7,6 Millionen Euro (Manager-Magazin 7/04, 101
ff.). Da Organisationen kontinuierliche Lohn- und Gehaltsstrukturen aufweisen,
kann davon ausgegangen werden, daß im Management unterhalb der Vorstandsebene
ähnliche Zuwächse stattgefunden haben. Zugleich dürfte sich der Abstand zwischen
dem Durchschnittseinkommen leitender Manager und dem eines Facharbeiters
gegenüber den achtziger Jahren, als der deutsche Wert nah an dem japanischen lag
(Streeck 1997), in Richtung auf die angelsächsischen Länder verschoben und damit
erheblich vergrößert haben.[11]
Selbstverständlich macht die Liberalisierung der deutschen
politischen Ökonomie in den Vorstandsetagen der Großunternehmen nicht halt. Das
Abbröckeln des Flächentarifs nach außen und seine vielfältige Flexibilisierung
nach innen setzen der lohnpolitischen Gleichmacherei der Bonner Republik ein
Ende und sorgen dafür, daß die Lohnstruktur immer mehr vom Markt statt von
kollektivistischen Gerechtigkeitsnormen bestimmt wird. Arbeitnehmer, die es
nicht geschafft haben, ihre Unternehmen im Wettbewerb nach vorne zu bringen,
müssen im Rahmen „betrieblicher Bündnisse“ Lohneinbußen hinnehmen, die sie dazu
bringen sollen, sich in Zukunft mehr anzustrengen. Auch in gutverdienenden
Unternehmen sind „anreizkompatible“ Lohnsysteme im Vormarsch, die das Einkommen
der Beschäftigten sowohl mit der persönlichen Leistung als auch mit dem
Markterfolg der betrieblichen Leistungsgemeinschaft als ganzer variieren lassen.
Zu den treibenden Kräften hinter dieser Entwicklung gehören die neuen
institutionellen Anleger und ihre „Analysten“, denen kontingente Entlohnung
nicht nur des Managements, sondern auch der Belegschaft als Beweis für
umfassende Orientierung eines Unternehmens am shareholder value und für
seine gelungene soziale Integration als am Markt ausgerichtete
Schicksalsgemeinschaft gilt (Kurdelbusch 2002).
Neue Konflikte: Rentabilität statt Beschäftigung
Daß die korporatistische Gesellschaftsordnung der
Nachkriegsjahre sich nicht länger zusammenhalten ließ, bedeutet freilich nicht,
daß sich die soziale Integration ihrer liberalisierten Nachfolgeformation von
selber verstünde. Wie eng die Grenzen einer marktmeritokratischen
Integrationsformel sind, zeigen schon die sich häufenden Warnungen vor dem, was
die manageriellen Eliten und ihre coterie in Wissenschaft, Politik und
Publizistik eine „Neiddebatte“ nennen. Sie reagieren auf weitverbreitete
Zweifel, ob der rapide Anstieg der Managerverdienste – der Fortschritt von
Overbeck zu Esser – tatsächlich am Markt verdient oder aber doch eher Ergebnis
kaltblütiger Ausnutzung organisationselitärer Positionsvorteile im Prozeß der
Desintegration der Deutschland AG ist. Für letzteres spricht, daß die Bezüge des
Managements in den Unternehmen am stärksten gestiegen sind, in denen sich die
Banken zuerst und am schnellsten aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen hatten
(Beyer 2003; 2005), bzw. in Unternehmen, deren Aufsichtsratsvorsitz von einer
Bank geräumt und von einem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied übernommen wurde.
Diese Fälle waren alles andere als selten. Während sich in den neunziger Jahren
der Anteil der von Bankenvertretern geführten Aufsichtsräte unter den 40 größten
Aktiengesellschaften von knapp 45 auf gut 20 Prozent halbierte, verdoppelte sich
der Anteil der Aufsichtsräte, die von ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern
geleitet wurden, von etwa 15 auf über 30 Prozent (Höpner 2004a).[12] Ebenfalls
relativ gering war der Anstieg der Managergehälter übrigens, ungeachtet der
Rolle von Zwickel im Mannesmann-Skandal, wo der Einfluß der Mitbestimmung, etwa
aufgrund der Präsenz hauptamtlicher Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat,
größer war als anderswo (Höpner 2004a; Schmid 1997) – was ein interessantes
Licht auf die Neuentdeckung der wirtschaftlichen Nachteile der
Unternehmensmitbestimmung durch das Management wirft.[13]
Hinzu kommt, daß der Anstieg der Vorstandsbezüge inmitten
einer wirtschaftlichen Krise stattfand, also mit ab- statt zunehmenden
Unternehmenserfolgen zusammenfiel und damit mit sinkender Beschäftigung sowie
mit Einkommensverlusten der Arbeitnehmer. Die Frage, die dies aufwirft, verweist
auf eine zentrale Schwachstelle jeder marktmeritokratischen Integrationsformel
in einer in Unternehmen organisierten Ökonomie. Soll sich das verdiente
Einkommen nach der persönlichen Leistung des Einzelnen oder nach dem Erfolg des
Unternehmens als einer solidarischen Schicksalsgemeinschaft bemessen? Wenn für
die Belegschaften, die in betrieblichen Bündnissen aus Solidarität mit dem
Unternehmen auf Teile ihres Lohns und auf die Sicherheiten des Flächentarifs
verzichten sollen, das letztere gilt, dann ist schwer einzusehen, warum für die
Vorstände das erstere gelten sollte.[14] Daß der Vorstand in der Krise mehr
verdienen muß, weil oder damit er mehr leistet, während die Belegschaft mehr
leisten und weniger verdienen soll, weil das Unternehmen am Markt nicht mehr
verdient, was es einmal verdient hat, läßt sich kaum auf einen gemeinsamen
Nenner bringen. Der Belegschaft nach dem Erfolg, dem Management nach der
Leistung?[15] Da könnte sich der Verdacht aufdrängen, daß der Anstieg der
Vorstandsbezüge am Ende doch eine Erfolgsprämie war: nämlich für Lohnsenkung und
Beschäftigungsabbau. Ein so definierter Erfolgsbegriff dürfte allerdings von
denen am wenigsten honoriert werden, von deren Integrations- und
Solidarisierungsbereitschaft die Funktionsfähigkeit des Betriebs als
Herrschaftsverband in erster Linie abhängt: er wäre keine Integrationsformel,
sondern ein Rezept für Konflikte.
Ohnehin spricht einiges dafür, daß sich hinter den
Kontroversen um die richtige und gerechte Bezahlung von Unternehmensvorständen
grundsätzlichere Verteilungskonflikte verbergen, deren Auftreten ebenfalls mit
dem Abschied vom Korporatismus zusammenhängt. In einer frühen Untersuchung über
das, was man heute varieties of capitalism nennt, hat der holländische
Ökonom Henk de Jong im Jahre 1997 gezeigt, daß Aktiengesellschaften in
kontinentaleuropäischen Corporate-Governance-Regimen einen erheblich
größeren Anteil ihrer Wertschöpfung an ihre Arbeitnehmer und die öffentliche
Hand (und einen entsprechend geringeren an ihre Aktionäre) verteilen als
Aktiengesellschaften im angelsächsischen Rechtskreis (de Jong 1997). Weitere
Aspekte dieses Zusammenhangs haben Jackson und Höpner (Jackson und Höpner 2001)
mit Hilfe eines Vergleichs zwischen den größten deutschen und britischen
Kapitalgesellschaften herausgearbeitet. Dabei erwies sich, daß die Umsatzrendite
der deutschen Unternehmen vor Steuern nur etwa halb so hoch war wie die der
britischen. Da letztere jedoch am Kapitalmarkt doppelt so hoch bewertet waren,
war das Kurs-Gewinn-Verhältnis ungefähr dasselbe. Zugleich aber erwirtschafteten
die deutschen Unternehmen fast den doppelten Umsatz der britischen und hatten
doppelt so viele Beschäftigte. An der Börse wurde damit ein Euro Umsatz eines
deutschen Industrieunternehmens mit ungefähr 50 Cent und eines britischen
Unternehmens mit über zwei Euro bewertet, und auf jeden deutschen Beschäftigten
entfielen 140.000 Euro Börsenwert, verglichen mit knapp einer Million Euro in
Großbritannien.
Ursache dieser Unterschiede ist ein unterschiedliches
Investitionsverhalten, das auf eine andersartige institutionelle Einbettung der
Unternehmen zurückgeht, die das Kräfteverhältnis zwischen den beteiligten
Gruppen beeinflußt. Anders als ihre amerikanische und britische Konkurrenz waren
die Unternehmen der „Deutschland AG“ lange vor feindlichen Übernahmen geschützt.
Deshalb konnten sie ihre Aktienkurse vernachlässigen. Unternehmen dagegen, die
bei Unterbewertung am Kapitalmarkt befürchten müssen, feindlich übernommen zu
werden, müssen sowohl ihren Kurs hoch halten als auch ihre Aktionäre mit einem
konkurrenzfähigen Kurs-Gewinn-Verhältnis bedienen. Beides erreichen sie, indem
sie auf hohe Rentabilität achten. Je höher aber der mindestens angestrebte
return on investment, desto weniger wächst ein Unternehmen in die Breite,
d.h. desto weniger Bedeutung mißt es der Beschäftigung im Unterschied zur
Profitabilität bei.
Für die Abkehr vom Korporatismus, die ja den Wegfall des
gegenseitigen Schutzes der Unternehmen im Rahmen der Deutschland AG einschließt,
läßt der deutsch-britische Vergleich die Vermutung plausibel erscheinen, daß sie
mit dem Übergang zu einer Wirtschaftsweise zusammenfällt, in der
Beschäftigung weniger zählt als Gewinn. Jackson und Höpner zeigen, daß
Unternehmen, die sich zum Schutz vor feindlichen Übernahmen an den Interessen
des Kapitalmarkts orientieren, ihre verbleibenden Arbeitnehmer keineswegs
schlechter entlohnen (Jackson und Höpner 2001). Es sind jedoch sehr viel
weniger Arbeitnehmer, und die Unterschiede zwischen ihnen und ihren aus
institutionellen Kontrollen entlassenen Unternehmensvorständen einerseits sowie
den Arbeitnehmern außerhalb der großen Eliteunternehmen andererseits sind
erheblich größer.[16] Dies muß, wie die traditionell sozial polarisierten
Gesellschaften der USA und Großbritanniens belegen, nicht unbedingt zu Protesten
führen. In der wahrscheinlich langen Phase der Transformation eines
„rheinischen“ in einen „angelsächsischen“ Kapitalismus jedoch, wie sie in
Deutschland möglicherweise bevorsteht, kann dies aber ganz anders sein.
Wie prekär im übrigen ein marktmeritokratischer Modus der
Elitenintegration wäre und wohl auch bleiben würde, läßt sich an einer Reihe von
weiteren Sollbruchstellen zeigen, von denen ich vier zum Schluß kurz beschreiben
will. Gemeinsam ist ihnen, daß sie der sich abzeichnenden neuen Ordnung inhärent
erscheinen und deshalb vielleicht von Fall zu Fall auf Zeit suspendierbar, wohl
kaum aber ein für allemal zu beseitigen sein dürften.
1. Verbetrieblichung der Arbeitsbeziehungen ist noch keine
Garantie für stabile Integration eines Unternehmens, auch nicht in Zeiten hoher
Arbeitslosigkeit. Florierende Großunternehmen wie Porsche oder Daimler-Chrysler
tun im Gegenteil, was sie können, um einen Kollaps des Flächentarifs zu
verhindern, weil sie bei betrieblichen Lohnverhandlungen größere Zugeständnisse
machen müßten. Anderwärts stoßen die in den neunziger Jahren zur Regel
gewordenen betrieblichen Bündnisse zur Steigerung der Produktivität oder zur
Senkung des Arbeitsvolumens an enge Grenzen, und zwar je öfter sie einer
jedesmal weiter schrumpfenden bzw. zur Rückgabe immer neuer erworbener Rechte
aufgeforderten Belegschaft nahegebracht werden müssen. Die Anzeichen häufen
sich, daß die vom Gesetz auf „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit der
Unternehmensleitung verpflichteten Betriebsräte bei der Durchsetzung von
Bündnisvereinbarungen gegenüber den Belegschaften Legitimitätsanleihen bei den
Gewerkschaften aufnehmen müssen, die wegen ihrer wenigstens grundsätzlichen
Konfliktfähigkeit Kompromisse glaubwürdiger vertreten können (Rehder 2004). Auch
darf nicht vergessen werden, daß deutsche Arbeitgeber sich nur deshalb auf die
Kooperationsbereitschaft ihrer betrieblichen Gesprächspartner verlassen können,
weil die deutsche Betriebsverfassung den bislang noch überbetrieblich
organisierten Gewerkschaften ein faktisches Arbeitskampfmonopol verschafft. Eine
weitgehende Verlagerung von Verhandlungsmaterie aus dem Flächentarif in das
Unternehmen würde auf die eine oder andere Weise mit einer Verbetrieblichung
auch von Arbeitskonflikten einhergehen.
2. Ebenfalls an Grenzen stößt das post-korporatistische
Ideal einer mit Marktlage und Markterfolg schwankenden Entlohnung auch der
Arbeitnehmer. Selbst im Kernbereich der deutschen Industrie sind die Löhne nicht
so hoch, daß den Familien, die mit ihnen ihren Lebensunterhalt bestreiten,
Lohnschwankungen zugemutet werden könnten, die viel größer wären als 10 Prozent
nach unten und oben. (Wie wichtig die Sicherheit des erwartbaren Einkommens ist,
haben auf ihre Weise gerade die Vorstände der deutschen Großunternehmen deutlich
gemacht, als sie parallel zur Einführung von oft schwindelerregend
vielversprechenden Aktienoptionen auch ihre Grundbezüge steil anhoben.)
Abnehmende Planungssicherheit als Folge einer stärkeren Schwankung der Einkommen
mit den Fluktuationen des Marktes – etwa bei Ersetzung von Sonderzahlungen durch
Erfolgsbeteiligungen und Leistungsprämien oder bei wiederholten Lohnkürzungen
als Gegenleistung für zeitlich begrenzte Beschäftigungszusagen – dürfte im
übrigen zu jener Konsumzurückhaltung beigetragen haben, die eine der Ursachen
der gegenwärtigen wirtschaftlichen Stagnation zu sein scheint. Auch eine
post-korporatistische Ökonomie kann offenbar nur schwer auf die stabilisierende
Dynamik „fordistisch“ gesicherter Masseneinkommen verzichten, zumal in einer
Zeit der Rücknahme sozialstaatlicher Leistungen und höherer Eigenbeteiligung an
der Absicherung gegen Risiken wie Krankheit und Alter.
3. Die korporatistische Kompression von Lohnspanne und
Einkommensverteilung sorgte zusammen mit dem statussichernden Wohlfahrtsstaat
der Nachkriegszeit und anhaltendem wirtschaftlichen Wachstum dafür, daß das
liberale Versprechen gleicher Startchancen für alle, das seit jeher zum ehernen
Bestand der Legitimationsformeln des Liberalismus gehört, nicht allzu wörtlich
genommen werden mußte. Auch dem geborenen Verlierer in der großen Lotterie des
Marktes ging es im deutschen Korporatismus einigermaßen gut, zumal die
politische Korrektheit der nach-nationalsozialistischen Jahrzehnte es den
Gewinnern verbot, sich selbst in öffentlicher Aufdringlichkeit als Elite zu
zelebrieren. Je weniger jedoch die Politik in einer zunehmend liberalisierten
politischen Ökonomie die Herausbildung von Ungleichheit am Markt behindert oder
korrigiert – und sie im Gegenteil sogar fördert – desto unvermeidlicher wird sie
mit der Frage konfrontiert, ob sie den Mitgliedern der Gesellschaft, bevor sie
in Markt und Wettbewerb eintreten, tatsächlich gleiche Ausgangsbedingungen zu
verschaffen mag. Ein demokratischer Staat, der Statusangleichung und
Statusabsicherung nicht mehr bieten kann oder will, muß statt dessen zumindest
eine Politik der Herstellung gleicher Chancen betreiben. Eine den Markt
unterfütternde Sozialpolitik der Angleichung oder doch Annäherung der
Ausgangsausstattungen der Marktteilnehmer dürfte aber kaum weniger kosten als
der traditionelle Wohlfahrtsstaat, ungeachtet dessen, daß sie eher investiv als
konsumtiv angelegt wäre. Damit aber geriete die sozialpolitische Begleitung
einer stärkeren Freisetzung von Marktkräften im Interesse der Gewinner von
morgen in Konflikt mit dem Interesse der Gewinner von heute, die meist Besitzer
mobiler Produktionsfaktoren sind, an einer Senkung ihrer Solidarabgaben an die
Gemeinschaft als ganze.
4. Überhaupt dürfte sich eine liberalisierende Reform des
korporatistischen Wohlfahrtsstaates schwieriger gestalten als oft unterstellt,
und auch aus anderen als den üblicherweise angeführten Gründen. Der
statussichernde Wohlfahrtsstaat des „deutschen Modells“ unterstützte den
Zusammenhalt der betrieblichen Produktivitätskoalitionen, und in späteren Jahren
insbesondere der betrieblichen Bündnisse, indem er sich zur sozialen Abpufferung
eines beschleunigten wirtschaftlichen Strukturwandels in Dienst stellen ließ.
Heute, da die Unternehmen über ihre Ressourcen nach Maßgabe und zur Optimierung
ihrer individuellen Marktlage selber disponieren wollen, sind sie jedoch immer
weniger bereit, sich an der Finanzierung hoher Sozialausgaben zu beteiligen.
Unklar bleibt dann aber, was an die Stelle der korporatistischen
Gefahrengemeinschaft treten soll, die gerade den Arbeitgebern bisher eine
weitgehende Externalisierung der betrieblichen Risiken wirtschaftlichen Wandels
ermöglicht hat. Im übrigen gehörte auch der Wohlfahrtsstaat in seiner
traditionellen Form zu jenen Mechanismen der Erzeugung von Erwartungs- und, vor
allem, Einkommenssicherheit, die im Nachkriegsmodell der Industriegesellschaft
Voraussetzung der Teilnahme breiter Massen an wachsendem Konsum und damit des
Wachstums einer konsumgetriebenen modernen Volkswirtschaft waren. Sein Umbau in
einen „aktivierenden“, also ebenso „fordernden“ wie „fördernden“, investiven
statt konsumtiven Wohlfahrtsstaat könnte ebenso wie der Vormarsch kontingenter
Entlohnung zu den Ursachen jener Konsumzurückhaltung gehören, die mit dem
Übergang zu einer neuen, weniger egalitären und stärker marktbestimmten
Sozialstruktur einherzugehen scheint.
Zum Schluß: Liberalisierung als Freisetzung betrieblicher
Herrschaft
Im Selbstbild des neuen Liberalismus folgt auf die Phase
der korporatistischen Einschnürung von Wirtschaft und Gesellschaft die Befreiung
der Tüchtigen durch und für den Markt. Freie Märkte mit sich selbst
regulierenden relativen Preisen erscheinen in ihm nicht nur als effizient,
sondern auch als gerecht: in ihnen wird schließlich allein nach Leistung
entlohnt. Entpolitisierung und Ökonomisierung der Ökonomie sollen die
Sozialstruktur zugleich wettbewerbsfähig machen und legitimieren, und
politischen Verschwörungen zur umverteilenden Appropriation unverdienter
Einkommen soll ein für allemal die Grundlage entzogen werden. An die Stelle der
Paten des Sozialstaates mit ihren willkürlichen Gunstbezeigungen gegenüber ihren
Klientelen treten Leistungseliten, deren Preis ihrem Wert entspricht und
umgekehrt: so verdient zum ersten Mal jeder, was er verdient.
Viel spricht jedoch dafür, daß auch die
post-korporatistische Gesellschaft kein Markt ist und auch ihre Eliten
nicht Markt-, sondern Macht- und Organisationseliten sind. Allerdings haben sie
mit ihren Vorgängern nur wenig gemeinsam. Die Eliten des Korporatismus waren
Virtuosen der horizontalen Organisierung von Gleichen und des politischen
Interessenausgleichs mit anderen; die des Post-Korporatismus sind Spezialisten
in der hierarchischen Organisation von Untergebenen und im Wettbewerb mit
anderen Organisationen im Markt. Ihre Spezialität ist nicht das
Verhandeln von Kompromissen, sondern die Schöpfung und Abschöpfung von
kommerziellen Werten. Die post-korporatistisch liberalisierte
Wettbewerbsgesellschaft, deren eine und immer einheitlichere Elite sie bilden,
kennt keine Lager mehr. Dennoch ist sie, ebenso wie die korporatistische
Konsensgesellschaft der Nachkriegszeit, eine organisierte Gesellschaft.
Allerdings fehlt ihr die für den Korporatismus charakteristische horizontale
Organisierung, die vor allem die vertikalen Strukturen der Großunternehmen
einhegte und einband. Liberalisierung, in anderen Worten, bedeutet nicht die
Ablösung jeglicher Organisation durch freie Märkte und befreite Individuen,
sondern nur das Zurücktreten bestimmter Organisationsformen zugunsten anderer:
insbesondere die Herauslösung der corporate hierarchies der großen
Unternehmen aus korporatistischen Bindungen und politischen Verpflichtungen.
Insofern, als letztere fast ausschließlich nationaler Natur waren, trägt die
Erosion nationalstaatlicher Autorität im Zuge der sogenannten „Globalisierung“
verstärkend zum post-korporatistischen Wandel von Elitenstruktur und
Elitenintegration bei. Sie hilft unter anderem erklären, wie das Projekt eines
trilateral ausgehandelten, nationalen „Bündnisses für Arbeit“ in der Realität
einer Vielzahl individueller, vom Management dominierter „betrieblicher
Bündnisse“ enden konnte – und warum jenseits der selbstauferlegten
Beschränkungen einer agenturtheoretischen Literatur, die nichts wichtigeres zu
tun hat als sich den Kopf der Kapitaleigner zu zerbrechen, die Durchsetzung
sozialer Verpflichtungen gegenüber immer unabhängiger gewordenen Großunternehmen
zur entscheidenden Frage guter corporate governance nach dem Ende des
Korporatismus geworden ist (Streeck 2003b).
Die marktmeritokratische Selbstbeschreibung der Eliten der
im Entstehen begriffenen neuen Gesellschaftsformation kann vor diesem
Hintergrund nur als Ideologie erscheinen: ihr Individualismus hat mit der
Wirklichkeit einer zunehmenden Freisetzung der großen Unternehmen aus
politischer und sozialer Kontrolle und der mir ihr einhergehenden,
fortschreitenden Ermächtigung ihrer privaten Leitungseliten nur insofern etwas
zu tun, als er sie verschleiert. Hier kann die Debatte um die rasante
Entwicklung der selbstbewilligten Leistungsentlohnung der Spitzenmanager vor
allem jener Unternehmen, die sich externer Überwachung besonders rasch und
wirksam entzogen haben, als Modell herangezogen werden. Wie Michael Hartmann
(2005) und andere gezeigt haben, finden die Karrieren der allermeisten
Unternehmensvorstände nach wie vor in einem einzigen Unternehmen und mit Hilfe
unternehmensspezifischen Wissens und unternehmensinterner Netzwerke statt, deren
Aufbau jahrzehntelange Investitionen erfordert. Nur wenn es darum geht, die
zunehmend erfolgreiche Besitzergreifung der Managerklasse von den Kassen der
zunehmend sich selbst und damit ihren Leitern überlassenen Unternehmen
nach außen zu erklären, verwandeln sich die Eliten der Großunternehmen
plötzlich, in Gouldners Terminologie, von locals in cosmopolitans
(Gouldner 1957): von Matadoren im langjährigen Aufstiegskampf innerhalb
feudalisierter interner Arbeitsmärkte in mobile Wertschöpfungsspezialisten,
deren Arbeitskraft universalistisch nach Angebot und Nachfrage am freien Markt
und nicht partikularistisch nach ihrer Position in der Cliquen- und
Machtstruktur einer Organisation bewertet wird. Mit den neuen, oder doch in der
langen Nachkriegsphase weitgehend neutralisierten, Verteilungskonflikten
zwischen Eliten und Nichteliten, die mit dem neuen Modus der Elitenintegration
einhergehen, werden wir noch lange leben müssen.
Literatur
Bergmann,
Joachim, Otto Jacobi und Walter Müller-Jentsch, 1975: Gewerkschaften in der
Bundesrepublik: Gewerkschaftliche Lohnpolitik zwischen Mitgliederinteressen und
ökonomischen Systemzwängen. Frankfurt a.M.: Europäische Verlagsanstalt.
Beyer,
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Fußnoten
1
Der liberale Neo-Korporatismus kann deshalb
als Sonderfall eines Typus von Demokratie („consociational democracy“) gelten,
der bestimmten sozialen Gruppen verfassungsgleiche Sicherheitsgarantien gegen
politische (Mehrheits-)Entscheidungen gewährt, die ihre fundamentalen Interessen
verletzen würden (Lijphart 1999).
2
Was die ökonomisch-funktionalen Begründungen des
neuen mitbestimmungspolitischen Revisionismus angeht, so hat Martin Höpner
dieses Thema so überzeugend zurückgewiesen, daß auf sie hier nicht mehr im
einzelnen eingegangen werden muß (Höpner 2004b).
3
Daß diese auch unter anderen als den gegenwärtigen
politischen Mehrheitsverhältnissen in absehbarer Zeit sehr wahrscheinlich nicht
zu einer gesetzlichen Abschaffung der Mitbestimmung auf Unternehmensebene führen
werden, dürfte dem BDI bekannt sein. Deshalb kann man vermuten, daß es bei der
gegenwärtigen Diskussion zunächst vor allem um eine diskursive Delegitimierung
der Mitbestimmung geht. Die sich dabei abzeichnenden Erfolge könnten sich
mittelfristig an zwei Fronten auszahlen. Erstens würde der öffentliche
Widerstand gegen eine europarechtliche Aushebelung der deutschen Rechtslage
geschwächt und nähme die Bereitschaft zu einer passiven Hinnahme
europarechtlicher Interventionen zu. Zweitens hat die Mitbestimmungsforschung
immer wieder gezeigt, daß der Einfluß der Belegschaftsvertreter in den
Mitbestimmungsorganen von Unternehmen zu Unternehmen stark variieren kann,
obwohl die Gesetzeslage für alle Unternehmen dieselbe ist. Eine Delegitimierung
der Mitbestimmung als Institution kann zur Folge haben, daß das tatsächliche
Ausmaß der Mitbestimmung überall auf ein restriktiv definiertes gesetzliches
Minimum zurückgeführt wird.
4
Hinzu kamen die Selbstverwaltungsorgane der
Sozialversicherung, deren Ursprünge bis vor den Ersten Weltkrieg zurückgehen.
5
So reagierten die Arbeitgeber auf den
gewerkschaftlichen Betriebsunfall der wilden Streiks im Jahre 1969, indem sie
ihrer Gegenseite Organisationshilfen in Gestalt einer von allen Parteien des
Bundestags unterstützten Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung (1972)
zukommen ließen.
6
Für einen Katalog der Ursachen des Scheiterns des
„deutschen Kapitalismus“ siehe Streeck (1997). Das folgende ist eine
Weiterentwicklung des dort vorgetragenen Arguments.
7
Dabei erwies sich die institutionalisierte Präsenz
von Vertretern der Sozialpartner in den Selbstverwaltungsorganen des
Sozialstaates als hilfreich. Hier liegt eine bislang zu wenig erforschte Ursache
für die im folgenden beschriebenen Entwicklungen.
8
Bzw. einen Neuaufbau von Beschäftigung dort, wo er
allein möglich gewesen wäre, verhinderte: nämlich im arbeitsintensiv
produzierenden Dienstleistungssektor.
9
Ich lasse dahingestellt sein, ob auch andere Gruppen
vom Zerfall des Korporatismus profitieren. Interessant sind der Rückgang der
Präsenz von Verbandspolitikern im Bundestag (siehe den Beitrag von Borchert zum
4. Workshop der Arbeitsgruppe Elitenintegration) sowie das Verschwinden der
klassischen, aus den einschlägigen Verbänden hervorgegangenen Sozialpolitiker
aus dessen Sozialausschuß (Trampusch 2004). Beides deutet auf eine gegenseitige
Ausdifferenzierung von (partei- bzw. staats-)politischen und korporatistischen
Eliten hin. Was die ersteren angeht, so scheint deren Situation den allgemeinen
Paradoxien der Politik im Wirtschaftsliberalismus zu unterliegen. Auf der einen
Seite soll die Politik sich aller Eingriffe in den Markt enthalten und
insbesondere auf jede Korrektur der vom Markt erzeugten Ungleichheiten tunlichst
verzichten; insofern verliert sie an Bedeutung und wird letztlich zu einer Art
von sozialintegrativer Unterhaltungsindustrie. Auf der anderen Seite soll sie
den Markt vor verzerrenden Eingriffen organisierter Interessen schützen und
darauf achten, daß seine Disziplin nicht durch den Einfluß
verteilungspolitischer Koalitionen untergraben wird. Wie die Beispiele von
Thatcher und, unter negativen Vorzeichen, Schröder zeigen, kann dies einen hoch
aktiven und vor allem starken Staat erfordern (Streeck 2005).
10
Für die DAX-30-Unternehmen errechnet Hickel einen
Zuwachs der tatsächlichen Durchschnittsvergütung der Vorstandsmitglieder von
1997 bis 2003 um 81,3 Prozent auf 1,85 Mio. Euro (Hickel 2004).
11
Hickel kommt für die Vorstände der börsennotierten
Unternehmen auf das Hundertfache des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens;
in „früheren Jahrzehnten“ habe die Relation „maximal“ 1 zu 20 oder 1 zu 30
betragen (Hickel 2004).
12
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung berichtet für
142 börsennotierte Unternehmen, die der Mitbestimmung unterliegen, daß im Jahr
2004 in 20 Prozent der Fälle der Aufsichtsratsvorsitz von einem ehemaligen
Vorstandsvorsitzenden ausgeübt wurde; noch 2001 sei dies nur in 8 Prozent der
Unternehmen der Fall gewesen. In einem Drittel der Unternehmen gehörten
ehemalige Vorstandsmitglieder dem Aufsichtsrat an; in jedem zweiten davon hatte
ein ehemaliges Vorstandsmitglied auch den Vorsitz inne (im Vergleich zu jedem
dritten im Jahre 2001; Die Mitbestimmung 3/2005, S. 7).
13
Die politische Sprengkraft des Themas zeigt sich
nicht nur an allfälligen Forderungen populistischer Politiker nach einer
gesetzlichen Begrenzung von Managerbezügen, sondern auch an dem, freilich
weitgehend folgenlos gebliebenen, Rat der Cromme-Kommission und der FAZ an die
Unternehmen, die Einkommen ihrer Vorstände zumindest offenzulegen (Zypries
2004).
14
Siehe Japan, wo in Unternehmenskrisen das Management
zunächst das eigene Gehalt senkt und erst dann das der Beschäftigten, wenn
überhaupt. Siehe ferner einige der in jüngster Zeit, nach den öffentlichen
Auseinandersetzungen um die Vorstandsbezüge, geschlossenen „betrieblichen
Bündnisse“, bei denen Einkommenskürzungen auch für das gehobene Management
vereinbart wurden.
15
Oder nach dem Marktwert, um in Zeiten globalen
Wettbewerbs eine Abwanderung der Vorstände auf besser bezahlte Posten in der
angelsächsischen Welt zu verhindern? Die Vorstellung freilich, daß in den
neunziger Jahren internationale head hunters versucht haben sollen, deutsche
„Nieten in Nadelstreifen“ (Ogger 1995) in die USA abzuwerben, erschien selbst
den Wirtschaftsredakteuren der FAZ absurd.16
16
Die in Gang befindliche Annäherung deutscher an
angloamerikanische Managementvergütungen wäre dann tatsächlich als Prämierung
erfolgreicher Umverteilungsanstrengungen zugunsten der Aktionäre und zuungunsten
der Belegschaften zu interpretieren. Auch das dürfte ihrer Legitimation „nach
unten“ kaum dienlich sein.
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