Klimaschutzpolitik : Warum ist Deutschland ein Vorreiter im internationalen Vergleich? Zur Rolle von Handlungskapazitäten und Pfadabhängigkeit
Weidner, HelmutDownload:
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URL | https://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2009/1496/ |
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Dokumentart: | Bericht / Forschungsbericht / Abhandlung |
Institut: | WZB Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung |
Schriftenreihe: | Publications from the Research Unit Transnational Conflicts and International Institutions, Research Area Civil Society, Conflict and Democracy, Social Science Research Center Berlin : discussion paper |
Bandnummer: | 2008, 303 |
Sprache: | Deutsch |
Erstellungsjahr: | 2008 |
Publikationsdatum: | 14.07.2009 |
Originalveröffentlichung: | http://bibliothek.wzb.eu/pdf/2008/iv08-303.pdf (2008) |
SWD-Schlagwörter: | Klimaschutz , Gerechtigkeit , Pfadabhängigkeit , International , Vergleich , Deutschland , Internationaler Vergleich |
DDC-Sachgruppe: | Politik |
BK - Basisklassifikation: | 89.99 (Politologie: Sonstiges), 43.30 (Umweltpolitik), 89.71 (Internationale Zusammenarbeit: Allgemeines) |
Sondersammelgebiete: | 3.6 Politik und Friedensforschung |
Kurzfassung auf Deutsch:
Die deutsche Klimapolitik gehört zu den anspruchvollsten und effektivsten im internationalen Vergleich. Während die Treibhausgas-Emissionen in etlichen Industrieländern auch nach Abschluss der UN-Klimarahmenkonvention (1992) gestiegen sind, sanken sie in Deutschland um rund 18 Prozent. Die Veränderungen im ostdeutschen Energieund Industriesektor haben dazu wesentlich, aber nicht alles, beigetragen. Auch um den Stand der internationalen Klimaverhandlungen wäre es ohne das deutsche Engagement weit schlechter bestellt. Was treibt Deutschland zu dieser Vorreiter- und Durchhaltepolitik im globalen Klimaschutz, eine Politik, die über einen langen Zeitraum nur selten schwächelte, trotz zwischenzeitlich wechselnder Regierungen, stark veränderter sozioökonomischer Rahmenbedingungen, erschwerter Bedingungen für weitergehende Senkung der Treibhausgas-Emissionen, erheblicher Konflikte mit machtvollen Wirtschaftslobbyisten etwa der Energie- und Automobilbranchen und einer bis heute andauernden mehrheitlichen Ablehnung der sogenannten Öko-Steuer durch die Bevölkerung? In diesem Beitrag werden verschiedene Erklärungsmöglichkeiten diskutiert, insbesondere der Einfluss eines „weitsichtigen Eigeninteresses“ an globalem Klimaschutz in Politik und Gesellschaft, die Eigendynamik institutioneller und anderer Kapazitäten für Klimaschutz und die politikprägende Kraft globaler Gerechtigkeitsnormen. Im Ergebnis lässt sich die deutsche Klimapolitik deuten als Summe der Kombinationseffekte von (a) begünstigenden Strukturen, Institutionen und Akteurskonfigurationen, die sich seit den 1970er Jahren im Verlauf der konfliktreichen Entwicklungen in der Luftreinhaltepolitik herausgebildet und im Sinne einer „positiven Pfadabhängigkeit“ gewirkt haben, und (b) einer weitverbreiteten (gleichwohl politisch fragilen) Sensibilisierung für globale Verantwortlichkeit und Verantwortung gegenüber „dem Rest der Welt“ im Sinne der hohen Akzeptanz von globaler Fairness als klimapolitische Handlungsnorm. Gleichwohl lässt die klare Dominanz des Konzepts der (national orientierten) „ökologischen Modernisierung“ über dem der (globalen bis kosmophilen) „nachhaltigen Entwicklung“ bei der Gestaltung und Interpretation der Klimapolitik vermuten, dass einer progressiven globalen Klimapolitik wesentlich deshalb zugestimmt wird, weil sowohl eine gesamtwirtschaftlich als auch persönlich positive Kosten-Nutzen-Bilanz erwartet wird. Wo im Falle eines starken Zielkonfliktes zwischen nationalen und globalen Gemeinwohlinteressen die Akzeptanzgrenze für nationale Vorreiterpolitik liegen könnte, ist ungewiss aufgrund der weitgehend ignorierten und nicht thematisierten Wissenslücken zu den sozioökonomischen Verteilungseffekten der Klimapolitik. Die nationalen distributiven Effekte der Klimapolitik – die Frage nach den Nutznießern und den finanziell belasteten Gruppen in Deutschland – werden hierzulande so wenig öffentlich thematisiert, als gäbe es ein „klimapolitisch-engagiertes Schweigekartell“: Weder Umweltpolitiker noch die einschlägige scientific community haben bislang die nationalen Verteilungseffekte der gesamten bisherigen klimapolitischen Maßnahmen (einschließlich Emissionshandelssystem) zum öffentlichen Thema gemacht, geschweige denn die erheblichen zusätzlichen Belastungen, die durch die angestrebten Ziele und die Verpflichtungen insbesondere gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern im Anschluss an das Kyoto-Protokoll zu erwarten sind. Dies gilt auch für Nichtregierungsorganisationen (zivilgesellschaftliche Organisationen des Umwelt- und Entwicklungshilfebereichs), die ansonsten dezidiert für eine global gerechte Klimapolitik eintreten. Infolge dieses systematisch verzerrten klimapolitischen (Gerechtigkeits-) Diskurses liegt nur scheinbar eine hohe Zustimmung der Bevölkerung zur staatlichen Klimapolitik und zu den (oft weit darüber hinausgehenden) Forderungen der Nichtregierungsorganisationen nach globaler Gerechtigkeit vor: Es handelt sich eher um eine uninformierte Zustimmung als um einen informierten Konsens. Da außerdem die wenigen Untersuchungen zu den nationalen Verteilungsfolgen bisheriger Klimapolitik (theoretisch erwartbare) regressive Verteilungseffekte aufzeigen (d. h. sozial schwächere Gruppen werden überproportional belastet), muss die Frage umso mehr offen bleiben, wieweit mit einer sozial unfairen nationalen Klimapolitik das Ziel einer global gerechten Klimapolitik erreicht werden kann. Sieht man jedoch ab von dieser „inconvenient truth“ einer inländisch zunehmend verteilungsungerechten Klimapolitik, und auch von dem „demokratietheoretischen Schönheitsfehler“ eines unvollständigen und verzerrten Klimapolitikfolgen- Diskurses, dann ist die deutsche Klimapolitik im internationalen Vergleich bislang der „relative empirische Optimalfall“ einer staatliche Klimapolitik, die gesamtstaatliche Wohlfahrtsgewinne mit einer Dynamisierung der globalen Klimaschutzpolitik verbindet.
Kurzfassung auf Englisch:
German climate change policy is one of the most ambitious and effective climate protection endeavours worldwide. While greenhouse gas (GHG) emissions increased in several industrialized countries even after ratification of the UN Framework Convention on Climate Change (1992), they dropped in Germany by about 18 per cent. Transformations in the East German energy and industrial sectors have contributed much to this development, but they do not account for it entirely. Furthermore, international climate protection negotiations would be in a much worse state without Germany’s strong commitment. What has driven Germany to become – and stay – a frontrunner in global climate protection policy, and to pursue a national climate policy which, over time, has only rarely lost momentum despite different governments, significantly altered socioeconomic conditions, more difficult circumstances for enabling further reductions of GHG emissions, considerable conflicts with powerful economic lobbies (e.g. the energy and automobile sectors) and a majority of the German population rejecting the so-called eco-tax? This paper discusses various plausible explanations, especially the influence of a “farsighted self-interest” in global climate protection on the part of government and society, the momentum of institutional and other capacities for climate protection and the ability of global equity norms to shape policies. As a result, German climate protection policy can be interpreted as the sum of the combined effects of (a) favourable structures, institutions and actor constellations that have come about since the 1970s in the course of conflict-laden developments in air pollution control policy, (b) the “positive path dependency” of these structures, institutions and actors; and (c) a widespread (albeit politically fragile) awareness of global liabilities and responsibilities towards “the rest of the world” in the sense of a high acceptance of global fairness as a guiding norm for climate-political action. Nevertheless the clear domination of (nation-oriented) “ecological modernization” over (global to cosmopolitical) “sustainable development” in the generation and interpretation of climate policy leads to the assumption that progressive global climate policy is generally accepted among Germans because the population expects an economically as well as personally favourable cost-benefit balance. It is uncertain where, in cases of strongly conflicting aims between the national public interest and global common welfare, the line of support for national forerunner policies would be drawn. This is uncertain because of a largely ignored lack of knowledge about the socioeconomic distribution effects of climate change policy. What is striking is that such distributive effects and the question of who benefits from and who pays for climate policy in Germany are so rarely addressed that one could be led to suspect that the apparent “mantle of silence” surrounding the issue is deliberate. Neither politicians nor the relevant scientific community have up to now made national distribution effects of all climate-policy measures (including the emissions trading system) an issue for public discourse, not to mention considerable additional burdens which are expected to accrue from planned goals and obligations for developing and transition countries in the post- Kyoto phase. This also applies to non-governmental organizations (civil society organizations in the areas of environmental protection and development aid) although they usually decidedly advocate globally just climate policies. Because of the systematically distorted climate-political (equity) discourse the German population’s acceptance of governmental climate change policy (and of NGO demands for even more ambitious policies) is only ostensibly high: it is a matter of uninformed consent rather than informed consensus. And since the few studies on national redistributional effects of climate policy that do exist indicate probable regressive distributional effects (i.e. weaker social groups are disproportionately burdened), it remains an open question, whether the goal of a globally just climate policy can be achieved through socially unjust domestic climate policies. Irrespective of this “inconvenient truth” and the “democratic flaw” represented by the incomplete and distorted discourse on the consequences of climate policy, German climate change policy, by international comparison, can still be considered a relatively empirically optimal case for a governmental policy that combines national welfare gains with the promotion of global climate protection.
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