Politik der Gewalt - Gewalt in der Politik: Indonesien

Kreuzer, Peter

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URL https://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2008/246/
Dokumentart: Bericht / Forschungsbericht / Abhandlung
Institut: HSFK-Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Schriftenreihe: HSFK-Report
Bandnummer: 2000,04
Sprache: Deutsch
Erstellungsjahr: 2000
Publikationsdatum: 22.01.2008
SWD-Schlagwörter: Indonesien , Politik , Militär , Innere Sicherheit
DDC-Sachgruppe: Politik
BK - Basisklassifikation: 89.58 (Politische Gewalt), 15.78 (Südostasien)
Sondersammelgebiete: 3.6 Politik und Friedensforschung

Kurzfassung auf Deutsch:

Über lange Jahre galt die Freundschaft zwischen den westlichen Staaten und Indonesien, insbesondere die Freundschaft zwischen Deutschland und Suharto und dem in den deutschen Medien regelmäßig auftretenden Technologieminister Habibi, als unzerbrechlich. Die indonesische Geschichte seit den 70er Jahren wurde in vielen Medien als Erfolgsstory eines modernisierungsorientierten (leider autoritären) Regimes gezeichnet. Indonesien befand sich an der Seite von Thailand, Malaysia und Singapur auf dem Weg „nach Oben“. Suharto konnte sich im Respekt der Staatsführer dieser Welt sonnen, und die Streitkräfte galten als unverzichtbare einigende Klammer des riesigen Inselreiches, die sich mit der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung als wichtige Modernisierungsagenten erwiesen. In den Augen der westlichen Medien verwandelte sich das indonesische Musterland in der zweiten Hälfte des Jahres 1997 in wenigen Monaten in ein krisengeschütteltes Land, geführt von einer durch und durch korrupten Regierung unter der autokratischen Führung eines brutalen Diktators, ausgebeutet von einer Handvoll allmächtiger Familien und von menschenrechtsverachtenden Militärs. Plötzlich sah man allerorts die durchdringende Gewalt, mit der einige mächtige Familien und deren Verbündete in den Sicherheitskräften ihre Interessen durchsetzten. Der Rücktritt Suhartos im Mai 1998 wurde begleitet durch Gewaltexzesse gegen die chinesische Minderheit in Jakarta, es folgten Wellen der Gewalt auf Java, im Jahr 1999 in den Molukken und in Aceh. Die besondere Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit fand das Drama in Osttimor, wo schon im Vorfeld der Volksbefragung über die Annahme oder Ablehnung einer Autonomieregelung die politische Gewalt gegen Kritiker einer weiteren Anbindung an Indonesien eskalierte und nach der Bekanntgabe des Befragungsergebnisses im September 1999 Hunderte oder Tausende von Milizen ermordet und Hunderttausende über die Grenze nach Westtimor oder in die Berge getrieben wurden. Die westliche Öffentlichkeit reagierte mit Abscheu und Entsetzen und erzwang die Erlaubnis Indonesiens zur Entsendung einer bewaffneten UN-Truppe. Die Analysen der Gewalt bleiben seltsam kurzatmig. Der beinahe über Nacht vom Modernisierer zum Diktator mutierte Suharto und das von ihm aufgebaute System nepotistischer Bereicherung und gewalttätiger Unterdrückung scheinen als Ursache der explosiven Gewalt plausibel genug. Mithin sollten der Sturz Suhartos, die Auflösung der nepotistischen Strukturen und die Professionalisierung des Militärs sowie die Demokratisierung des politischen Systems als zentrale Mittel gegen eine Perpetuierung der Gewalt gelten – paradoxerweise jedoch eskaliert die Gewalt in den letzten Jahren mit trauriger Beständigkeit, von einer Zivilisierung des Konfliktaustrags kann keine Rede sein. Die Eskalation der Gewalt kann jedoch nicht allein als Übergangsphänomen gedeutet werden, sondern beruht auch auf Ursachen, die unabhängig vom autoritären Suharto-System bestanden und im wesentlichen auch noch bestehen. Will man auf eine Zivilisierung des innergesellschaftlichen wie auch des politischen Konfliktaustrags hinarbeiten, so müssen sie offengelegt und bearbeitet werden. Die folgende Studie entfaltet das Problem der Gewalt in Indonesien und arbeitet das Zusammenspiel verschiedener Dimensionen und einige zentrale Bestimmungsfaktoren der vielfältigen Formen der Gewalt heraus. Ein genauerer Blick auf die verschiedenen, partiell autonoII men Gewaltarenen und -szenarien verdeutlicht, daß den konkreten Ausprägungen kollektiver Gewalt jeweils spezifische Bestimmungsfaktoren zugrunde liegen, die nicht ohne Verkürzungen verallgemeinert werden können. Deutlich tritt hervor, daß jeder der untersuchten Konflikte über eine lange Vorgeschichte verfügt, die nicht selten bis in die Kolonialzeit zurückreicht, daß mithin eine Analyse, die die Ursachen gewaltförmiger Konflikte in den Spezifika des Suharto-Regimes sucht, nur einen Aspekt der Problematik beleuchtet. Wichtig ist in mehreren Fällen eine langwährende Praxis der Politisierung von Eigenschaften, die zur Identitätsstiftung sozialer Gruppen genutzt werden (Sprache, Religion, Abstammung). Dadurch werden die verschiedenen Dimensionen sozialer Identität so miteinander verkoppelt, daß kompromißfähige ökonomische und politische Differenzen symbolisch aufgeladen werden, bis sie für die Akteure zu Nullsummenspielen mutierten. Langfristig erscheint eine kognitive und affektive Entkoppelung der verschiedenen Identitätsdimensionen von eminenter Bedeutung. Kurzfristig sollte die Politik auf eine bewußte Balance der Identitätsgruppen hinarbeiten, so daß wieder ein geteilter politischer Raum entsteht, in dem sich die Gruppen begegnen und der Lösung alltäglicher Probleme widmen können. Nur wenn das gelingt, besteht die Chance, daß die Akteure ihre Nullsummenperspektiven zugunsten der Möglichkeit gemeinsam zu erarbeitender Gewinne überwinden. Daß die Gewalt in ihren verschiedenen Formen in der indonesischen Politik und Gesellschaft während der letzten Jahrzehnte eine dermaßen herausgehobene Rolle spielen konnte, beruht auch auf einem gewaltfördernden kulturellen und strukturellen Rahmen. Den kulturellen Rahmen für einen beträchtlichen Teil der staatlicherseits ausgeübten Gewalt liefert das kognitive Muster des inneren Kolonialismus. Bislang ist es dem indonesischen Staat bzw. seiner politischen Elite nicht gelungen, eine egalitäre Sicht auf die eigene Nation zu entwickeln. Die größtenteils javanische Elite hält zwar die außenliegenden Provinzen für integrale Bestandteile der indonesischen Nation, akzeptiert deren indigene Bevölkerungsgruppen jedoch nicht als gleichwertige Bürger eines gemeinsamen Vaterlandes, sondern sieht sie als rückständige, unterentwickelte Subjekte, die der Führung und Entwicklung bedürfen. Damit wiederholt sie die paternalistische Attitüde des kolonialen Systems – die dergestalt „kolonisierten“ Völker wiederum gewannen ihre Identität zu einem wesentlichen Teil aus diesem kolonialen Blick. Ihre Forderungen nach Unabhängigkeit und gleichberechtigte, auf Respekt begründete Behandlung durch die Metropole spiegelt die Position früherer anti-kolonialer Bewegungen. Soll Indonesien als Staat erhalten bleiben, so müssen beide Seiten diese kognitiven Muster der inneren Kolonialisierung überwinden. Der erste Schritt kann freilich nur von der Elite ausgehen. Sie muß – sichtbar nicht nur in der politischen Rhetorik, sondern auch in der Praxis – die vielfältigen Minderheiten als wahrhaftig gleichberechtigte Bürger einer gemeinsamen Nation akzeptieren. Staatliche Gewalt und Gewalt zwischen gesellschaftlichen Gruppen werden befördert durch die langandauernde Tradition politischer Gewalt. Gesellschaftliche und politische Sozialisation ist im modernen Indonesien durchgängig auch eine Gewöhnung an eine konflikt- und gewaltförmige Wirklichkeitswahrnehmung und soziale Handlungspraxis. Die in den letzten Jahren beobachtete Gewaltsamkeit darf nicht als Besonderheit, sondern muß als eine Spitze in einem Kontinuum der Gewalt interpretiert werden, dessen eigentlicher Höhepunkt in den Jahren 1965/66 über 500.000 Menschenleben forderte. Gewalt als Mittel der Politik und der innergesellschaftlichen Auseinandersetzung ist kein Phänomen der Suharto-Ära, auch wenn sie in diesen Jahrzehnten zweifellos zu neuen Höhepunkten fand, sondern ist schon in den Jahrzehnten davor ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen. Terror und Gewalt sind bisher III eine „normale“, beständig wiederkehrende, über Zeit stabile Facette der modernen indonesischen Politik und Gesellschaft. Die vor langen Jahrzehnten in Gang gesetzte Dynamik der Gewalt hat über die vielen Akte zu einer Deformierung sozialer Kategorisierungsmuster und sozialer Interaktion zwischen Gruppen geführt, die noch auf lange Zeit soziale Praktiken entscheidend mitprägen wird. Ein nicht zu unterschätzender Faktor, der die beständige staatliche Bereitschaft zur Gewaltanwendung sichtbar unterstützt hat, ist, daß die Großmächte, insbesondere die USA und Großbritannien, aber auch Australien und die Bundesrepublik Deutschland, der staatlichen Gewalt nicht nur nichts entgegengesetzt, sondern die politischen Akteure in ihrer Präferenz für gewaltsame Strategien politischer Konfliktregelung bis in die jüngste Vergangenheit – trotz mancher gegenteiliger Rhetorik – de facto unterstützt haben. Die Paradigmen des Ost- West-Konflikts und der Stabilität Indonesiens standen durchgängig einer kritischen Haltung zum indonesischen Repressionsapparat entgegen. Das humanitäre Engagement wie beim Eingreifen der westlichen Mächte im Falle Osttimors muß als klare Ausnahme von der Regel der zumindest passiven, nicht selten aber auch aktiven Politik der Unterstützung des menschenrechtsverletzenden Regimes interpretiert werden. Wenngleich die Gewalt in Indonesien vielfältige und dauerhafte Ursachen hat, so wurde die Eskalation in den letzten Jahren doch durch die fundamentale ökonomische, soziale und politische Krise vom Herbst/Winter 1997 ausgelöst. Anders als in den anderen südostasiatischen Staaten war für die Indonesier die Asienkrise nicht nur eine ökonomische und soziale Krise, sondern auch eine politische Systemkrise. Mit dem ökonomischen Zusammenbruch war die Legitimation des Suharto-Regimes weggebrochen, das System kollabierte binnen weniger Wochen. Alle Gewißheiten der letzten Jahre hatten über Nacht ihre Gültigkeit verloren, ohne daß andere in Sicht kamen. In Indonesien fand sich nicht nur das „Staatsschiff“ in einem Wirbelsturm wieder, auch der Kapitän war samt eines Teils der Mannschaft über Bord gespült worden. In einem derartigen Kontext fundamentaler Verunsicherung kann Gewalt, paradoxerweise gespeist aus der allgemeinen Angst davor, selbst Opfer der Gewalt zu werden, eine Eigendynamik entfalten, die sich jeder Steuerung und Begrenzung entzieht. Nachdem Indonesien nun mit der erfolgreichen Wahl eines demokratisch legitimierten Präsidenten in ruhigeres Fahrwasser gekommen ist, wird es die zentrale Aufgabe sein, den alten Leitgedankens staatlicher Politik, „Einheit in Verschiedenheit“, neu zu bestimmen. Wenn es wie unter Sukarno und Suharto nicht gelingt, der Verschiedenheit einen gleichberechtigten Platz neben der Einheit einzuräumen, dann ist eine Fortschreibung der Gewalt programmiert. Wenn es aber gelingt, beide Konzeptionen so ins Gleichgewicht zu bringen, daß der nationale und die regionalen und transnationalen (etwa religiösen) Bezugsrahmen so aufeinander ausgerichtet werden können, daß sie, obzwar voneinander unabhängig, sich doch gegenseitig bestehen lassen, dann stehen die Chancen auf einen langfristig zivilisierteren Konfliktaustrag in einem zumindest de facto föderalen Indonesien nicht schlecht. Der Weg dorthin wird jedoch noch über Jahre eine Wiederkehr kommunalistischer, aber wohl auch staatlicher Gewalt sehen.


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