Bundeswehr ohne Wehrpflichtige – Was folgtdaraus für die Parlamentsarmee im Einsatz?
Meyer, BertholdDownload:
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URL | https://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2011/3196/ |
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Dokumentart: | Bericht / Forschungsbericht / Abhandlung |
Institut: | HSFK-Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung |
Schriftenreihe: | HSFK-Report |
Bandnummer: | 2010, 11 |
ISBN: | 978-3-942532-11-2 |
Sprache: | Deutsch |
Erstellungsjahr: | 2010 |
Publikationsdatum: | 25.09.2011 |
Originalveröffentlichung: | http://www.hsfk.de/fileadmin/downloads/report1110.pdf (2010) |
SWD-Schlagwörter: | Deutschland / Bundeswehr , Wehrpflicht |
DDC-Sachgruppe: | Politik |
BK - Basisklassifikation: | 89.77 (Rüstungspolitik), 89.82 (Militärpersonal) |
Sondersammelgebiete: | 3.6 Politik und Friedensforschung |
Kurzfassung auf Deutsch:
Am 3. Januar 2011 wurden die letzten Wehrpflichtigen für sechs Monate zum Grundwehrdienst „gezogen“. Damit endet am 30. Juni 2011 die Ära der Wehrpflichtarmee Bundeswehr – vorläufig, wie es heißt, denn die Wehrpflicht wird nur ausgesetzt, nicht abgeschafft. Konservative Kritiker eines solchen Schrittes äußerten stets die Befürchtung, dies würde faktisch einer Abschaffung gleichkommen. Sie stellten bis vor kurzem auch die Mehrheit im Deutschen Bundestag, denn egal, ob in den letzten Jahren vor 1998 die FDP in der damaligen schwarz-gelben Koalition die Aussetzung forderte und die CDU/CSU sie verhinderte oder während der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005 Bündnis 90/Die Grünen dies wollte und die SPD keine Änderung der Wehrstruktur zuließ, stets führte die Kontroverse um die Wehrpflicht in eine koalitionsinterne Sackgasse. Dass sich während der Zeit der schwarz-roten „Großen“ Koalition in dieser Frage nichts bewegte, lag auf der Hand, da die „Aussetzer“ nun gemeinsam mit der PDS, die die Wehrpflicht ganz abschaffen wollte, die Oppositionsbänke drückten. Als im November 2009 die neue schwarz-gelbe Koalition gebildet wurde, sah es so aus, als wiederhole sich die alte Konstellation. Zwischen CDU/CSU, die weiterhin auf der Wehrpflicht beharrten, und der FDP, die im Wahlkampf wieder einmal für die Aussetzung eingetreten war, kam es zu einem Kompromiss der Verkürzung des Grundwehrdienstes von neun auf sechs Monate. Dadurch konnte das lange schon bestehende Problem der Wehrungerechtigkeit gemildert, aber nicht beseitigt werden. Allerdings wurde damit die Frage umso dringlicher, wozu man noch junge Männer zu einem Dienst verpflichtet, bei dem sie aufgrund der Kürze nicht das erlernen können, was in einem Militäreinsatz gebraucht wird, weshalb nur Freiwillig Längerdienende Wehrdienstleistende, Zeit- und Berufssoldaten an Auslandseinsätzen teilnehmen. Zugleich einigten sich die Koalitionspartner darauf, eine Wehrstrukturkommission einzusetzen, die „bis Ende 2010 einen Vorschlag für Eckpunkte einer neuen Organisationsstruktur der Bundeswehr“ erarbeiten sollte, wobei sie den Auftrag erhielt, „vom Einsatz her“ zu denken. Die vom Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, geleitete Kommission legte ihren Bericht schon am 26. Oktober vor. Eine seiner wichtigsten Aussagen lautete: „Es gibt viel nachzuholen. Die Zeit drängt.“ Dabei plädierte die Kommission sowohl für die Aussetzung der Wehrpflicht als auch für eine deutliche Verringerung des Umfangs der Streitkräfte von 252.500 auf etwa 180.000 Soldatinnen und Soldaten sowie des zivilen Personals von 75.000 auf ca. 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auf eine neue Gesamtstruktur der Bundeswehr und des Verteidigungsministeriums. Es hätte dem Bericht ähnlich ergehen können wie zehn Jahre zuvor den Forderungen der letzten, von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker geleiteten Strukturkommission, die der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) zu den Akten gelegt hatte. Doch das Gegenteil geschah: In zwei entscheidenden Punkten übernahm die Bundesregierung die Vorschläge der Weise-Kommission schon sieben Wochen später. Sie beschloss am 15. Dezember 2010 die Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 und die Verringerung der Bundeswehr auf 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie bis zu 15.000 Freiwillig Dienende Männer und Frauen, die sich inklusive einer Probezeit von sechs Monaten für 12 bis 23 Monate verpflichten. Das zivile Personal des Ministeriums und der nachgeordneten Verwaltung wird nicht in dem Umfang wie von der Kommission gefordert abgebaut werden. Manch andere Überlegungen zur Effizienzsteigerung, etwa im Rüstungssektor, warten noch auf ihre Umsetzung. Der vorliegende Report zeichnet zunächst (Kapitel 2) nach, wie es das Festhalten an der Wehrpflicht nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes und der deutschen Vereinigung 1990 verhinderte, trotz aller Verringerungen des Umfangs der Bundeswehr und ihren Anpassungsbemühungen an neue Aufgaben tatsächlich eine Reform der Streitkräfte vorzunehmen. Dadurch wurde es versäumt, die Streitkräfte nach dem faktischen Wegfall des Verteidigungsauftrages passgenau auf die neuen Aufgaben der internationalen Krisenbewältigung zuzuschneiden. Sodann vergleicht die Studie in Kapitel 3 die Reformziele der Weizsäcker- und der Weise-Kommission, aber auch das Scheitern der einen und den relativen Erfolg der anderen miteinander. Der Weise-Bericht bezieht sich ausdrücklich auf die Weizsäcker- Kommission, von deren Forderungen manche zwischenzeitlich quasi unter der Hand auch schon umgesetzt wurden. Für den jetzigen schnellen Erfolg ist jedoch entscheidend, dass es ohne den Sparzwang, der von der 2009 in das Grundgesetz aufgenommenen Schuldenbremse ausgeht, kaum möglich gewesen wäre, eine weitere starke Verringerung des Streitkräfteumfangs anzustoßen. Das ließ sich ohne die Aussetzung der Wehrpflicht nicht realisieren. Kapitel 4 befasst sich mit der politischen Vorbereitung der Aussetzung und beleuchtet dabei zwei sehr unterschiedliche Momente. Zum einen wurde die Verkürzung des Grundwehrdienstes auf sechs Monate im Juni 2010 durch das Parlament gepeitscht, obwohl jedem Experten klar sein musste, dass damit eine sinnvolle Ausbildung der Wehrdienstleistenden nicht mehr möglich war. Es spricht einiges dafür, dass die FDP diesen Koalitionskompromiss, der wie ein Verrat an ihrer eigenen Pro-Aussetzen-Position erschien, mit der Absicht herbeigeführt hat, ihn als ein Dummy für den Crashtest der Wehrpflicht zu benutzen. Zum anderen musste Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) seine Partei sowie die größere Schwesterpartei CDU für die Aussetzung der Wehrpflicht gewinnen und damit über ihren eigenen Schatten springen lassen. Dies war allerdings nur möglich, indem in den gemeinsamen Beschlussentwurf beider Präsidien Kautelen eingebaut wurden, die eine Rückkehr zur Einberufungspraxis möglich machen und dafür sorgen, dass die Bundeswehr weiterhin in der Fläche präsent bleibt. Beides wird den ursprünglich angestrebten Einspareffekt deutlich verringern. Die Aussetzung zu beschließen, ist das eine. Die Bundeswehr als Freiwilligenarmee gleichzeitig weiterhin strikt am Ziel des Friedens orientierte Einsätze auszurichten, wie es das Bundesverfassungsgericht 1994 vorgeschrieben hat, ist etwas anderes. Hierfür zu sorgen ist die Aufgabe des Bundestages, da das Verfassungsgericht in demselben Urteil die Bundeswehr als „Parlamentsarmee“ konstituiert hat. Das 5. Kapitel des Reports benennt einige Punkte, auf die es grundsätzlich schon immer im Verhältnis zwischen Regierung, Gesellschaft und Streitkräften ankam, die aber besonders unter den Bedingungen einer Freiwilligenarmee ernst genommen werden müssen, damit diese nicht wie die Streitkräfte einiger Partnerstaaten zu einer typischen Interventionsarmee wird. Im Grundgesetz sind an verschiedenen Stellen Kompetenzen des Bundestages für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik verankert. Sie bilden zusammen mit der Festschreibung der Bundeswehr als „Parlamentsarmee“ und der Zentralen Dienstvorschrift 10/1 über die „Innere Führung“ und deren Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ den Rahmen eines „Zweiten Gesellschaftsvertrages“ zwischen dem Parlament als Repräsentanz der Gesellschaft, der Regierung und den Streitkräften, der als solcher bisher nicht formalisiert ist. Es ist zu überlegen, wie er so formalisiert werden könnte, dass die parlamentarisch Verantwortung für die Einsätze und der Wille, jedem Missbrauch entgegenzutreten, deutlich zum Ausdruck kommen. Das könnte auch die Berufszufriedenheit der Soldatinnen und Soldaten deutlich steigern, insbesondere, wenn dabei eine Regelung Eingang in das Grundgesetz fände, die den verfassungsrechtlichen Widerspruch zwischen dem Recht auf Leben nach Art. 2, Abs. 2, Satz 1 GG und der Anforderung, das eigene Leben auf Befehl einzusetzen, abmilderte. „Vom Einsatz her denken“ ist für den Bundestag auch eine ständige Herausforderung, „vom Ende her“ zu denken, wenn er über neue Auslandseinsätze oder die Verlängerung bestehender Mandate entscheiden soll und anschließend Dilemmasituationen vermeiden will, wie sie seit Jahren mit Blick auf Afghanistan bestehen. Es ist also eine besonders skrupulöse Prüfung der Anfragen von UNO, NATO und EU sowie der daraus resultierenden Anträge der Bundesregierung notwendig, um einschätzen zu können, ob ein Einsatz sinnvoll ist, und mit welchen Kräften, für welche Zeitspanne und mit welchen Aufgaben eine Mission auszustatten ist. Wenn die Marge für zwei parallele Langzeiteinsätze von jetzt 7.000 auf 10.000 Soldaten erhöht wird, darf das nicht dazu führen, die Einsatzfreudigkeit zu steigern. Auch die Freiwilligenstreitkräfte müssen an den Prinzipien der „Inneren Führung“ mit ihrem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ festhalten. Deshalb sollte für die parlamentarische Begleitung des nun anstehenden Umbaus der Bundeswehr der existierende Unterausschuss des Verteidigungsausschusses zur „Weiterentwicklung der Inneren Führung“ aus der vergangenen Legislaturperiode wieder eingesetzt werden. Eine seiner wichtigsten Aufgaben wäre es, die zivilgesellschaftliche und ethische Legitimationsbasis für die „Armee im Einsatz“ mit dem Ziel der Formalisierung eines „Zweiten Gesellschaftsvertrages“ zwischen Parlament, Regierung und Streitkräften neu zu definieren. In diese Beratungen sollten der Wehrbeauftragte und der Beirat Innere Führung einbezogen werden.
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