Empathie und prosoziales Verhalten in einer Ellenbogengesellschaft?

Ostermann, Änne

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URL https://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2008/345/
Dokumentart: Bericht / Forschungsbericht / Abhandlung
Institut: HSFK-Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Schriftenreihe: HSFK-Standpunkte : Beiträge zum demokratischen Frieden
Bandnummer: 04,2000
Sprache: Deutsch
Erstellungsjahr: 2000
Publikationsdatum: 18.02.2008
SWD-Schlagwörter:
DDC-Sachgruppe: Politik
BK - Basisklassifikation: 77.46 (Emotion), 77.63 (Soziale Interaktion, soziale Beziehungen)
Sondersammelgebiete: 3.6 Politik und Friedensforschung

Kurzfassung auf Deutsch:

In Köln wurde vor einigen Jahren ein junger Mann in der Nacht vom 1. zum 2. Januar ausgeraubt und entkleidet an einen Baum gefesselt. Dem Opfer gelang es, sich zu befreien und mit gefesselten Händen und Füßen zur etwa 100m entfernten Landstraße zu hüpfen. Mehrere Autofahrer kamen an dem hilferufenden Nackten vorbei, ohne anzuhalten und zu helfen. Einer dieser Autofahrer wurde wegen unterlassener Hilfeleistung in erster Instanz verurteilt, aber in zweiter Instanz freigesprochen, da er die Sache "für einen verspäteten Neujahrsscherz" gehalten hatte. Ebenfalls in Köln wurde auf der Hohen Straße eine 18jährige Türkin, die vor einem Verkaufsstand in einer Warteschlange stand, von einem Skinhead geschlagen, getreten und mit einem Rucksack auf den Kopf geschlagen. Keiner der Umstehenden griff ein, bis schließlich ein älterer Mann den Skindhead abdrängte. Die Türkin mußte ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Skindhead entkam unerkannt; von den Zeugen des Hergangs meldete sich niemand. Zahlreiche Leserbriefe in den Tageszeitungen zeigten Betroffenheit, Angst, Wut und Ratlosigkeit. Sind diese Fälle für die Brutalisierung unserer Gesellschaft typisch? Viele Menschen beklagen die Zunahme der Gewalt, das Schwinden der Rücksichtnahme und die mangelnde Aufmerksamkeit für den Mitmenschen. Entwickelt sich eine "Gesellschaft der Egoisten", die nur noch als Durchsetzung und Tausch von Interessen funktioniert? Die empirischen Daten sind widersprüchlich. Es kann aber keinen Zweifel darüber geben, daß die sozialen Tugenden einen Index für die Friedensfähigkeit einer Gesellschaft darstellen. Es soll hier versucht werden, einen Überblick über den Stand der Altruismus-Forschung und die Möglichkeiten einer Erziehung zur Empathie und Hilfsbereitschaft zu geben. Die Wissenschaft hat sich erst in den letzten Jahrzehnten verstärkt mit diesem Problemkreis beschäftigt. Die prosozialen Handlungsmotive gerieten in den 60er Jahren, zunächst in den USA, in das Blickfeld der Forschung. Eine Auslöserfunktion hatte der inzwischen berühmte Fall der Kitty Genovese. Sie wurde 1964 am hellichten Tage von einem psychopathischen Triebtäter auf einem Parkplatz in New York City in der Anwesenheit von mindestens 38 Zeugen ermordet. Die Tat erregte großes Aufsehen und wurde bis in alle Einzelheiten rekonstruiert. Kitty hatte ihr Auto abgestellt, als ihr Mörder über sie herfiel. Die zahlreichen Zeugen waren, wie die Berichte zeigten, nicht unaufmerksam, desinteressiert oder apathisch, sondern sie verfolgten das Geschehen voller Interesse. Der Täter attackierte sein Opfer mehrfach, bis schließlich jeder Rettungsversuch zu spät kam. Erst über eine halbe Stunde später wurde die Polizei alarmiert. Der gefaßte Täter erklärte bei der Vernehmung, er sei davon überzeugt gewesen, daß sich mögliche Beobachter nicht um den Vorfall kümmern würden. Eine zutreffende Auffassung! An den Fall der Kitty Genovese schließen sich eine Reihe von Fragen: Warum taten die Zeugen nicht das Naheliegende, griffen ein und benachrichtigten die Polizei? Hatten sie kein Mitgefühl mit dem Leiden des Opfers? Unter welchen Voraussetzungen sind Menschen bereit, sich prosozial zu verhalten? Hängt die Bereitschaft zu helfen von charakterlichen Eigenschaften der beteiligten Menschen oder von den Umständen der Situation ab? Wie kann man prosoziales Verhalten fördern? Kann die Erziehung - im Elternhaus, in der Schule - etwas dazu beitragen? Die Wissenschaft hat unter den Stichwörtern "prosoziales Verhalten" und "Altruismus" umfängliches empirisches Material gesammelt.


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