Unilateralismus als alleinige außenpolitische Strategie? : Die amerikanische Politik gegenüber UNO, NATO und der Chemiewaffen-Organisation in der Ära Clinton

Kubbig, Bernd W. ; Dembinski, Matthias ; Kelle, Alexander

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URL http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2008/247/
Dokumentart: Bericht / Forschungsbericht / Abhandlung
Institut: HSFK-Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Schriftenreihe: HSFK-Report
Bandnummer: 2000,03
Sprache: Deutsch
Erstellungsjahr: 2000
Publikationsdatum: 22.01.2008
SWD-Schlagwörter: USA , Außenpolitk , Vereinte Nationen , NATO , Organisation für das Verbot chemischer Waffen
DDC-Sachgruppe: Politik
BK - Basisklassifikation: 89.90 (Außenpolitik, Internationale Politik), 89.72 (Internationale Organisationen)
Sondersammelgebiete: 3.6 Politik und Friedensforschung

Kurzfassung auf Deutsch:

Die Vereinigten Staaten erleben derzeit eine beispiellose Renaissance ihrer wirtschaftlichen und militärisch-technologischen Macht. Gleichzeitig löst in den letzten fünf Jahren die amerikanische Außenpolitik in zentralen Politikfeldern durch ihre unverkennbare unilaterale Ausrichtung weltweit Irritationen aus – dies um so mehr, als der anfangs proklamierte „zupackende” Multilateralismus der Clinton-Administration den Eindruck nahelegte, als sei er nicht nur ein Instrument, sondern sogar das Prinzip ihrer Politik. Das unilaterale Verhalten wirft Grundfragen auf nach den von den USA bevorzugten außenpolitischen Strategien, nach der Bedeutung von Internationalen Organisationen (IOs) und nach den Bedingungen, unter denen die USA bereit sind, im multilateralen Rahmen mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Im Politikfeld Sicherheit/Rüstungskontrolle stellen sich diese Fragen insbesondere im Hinblick auf das amerikanische Verhalten gegenüber drei internationalen Institutionen. Es handelt sich dabei um die Vereinten Nationen, die NATO und die Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW). An diesen drei Einrichtungen lassen sich exemplarisch Parallelen und Unterschiede der amerikanischen Politik aufzeigen. Diese Studie, die gegen Ende der Ära Clinton eine Bilanz der doppelten Amtszeit in einem wichtigen Politikbereich ziehen möchte, soll Aufschluß darüber geben, ob das Verhalten der USA gegenüber den drei ausgewählten Internationalen Organisationen den beobachtbaren unilateralen Trend in der US-Außenpolitik bestätigt. Die amerikanische Politik gegenüber den Vereinten Nationen untersucht der Report zum einen anhand der UN-Reformpolitik. Zum anderen analysieren wir die Auseinandersetzungen um die amerikanische Beteiligung an den Friedensoperationen der Weltorganisation. Erklärtes Grundprinzip bleibt hier die unilaterale Gewaltanwendung der Vereinigten Staaten zur Durchsetzung ihrer Interessen. Der kleinste gemeinsame Nenner in der Reformdebatte besteht zwischen den wichtigsten US-Akteuren darin, die Vereinten Nationen leistungsfähiger zu machen – und den Veränderungsprozeß dazu zu nutzen, den Einfluß der USA in den Vereinten Nationen maximal abzusichern. In anderen Kernfragen hatten die Administration und der von den Republikanern dominierte Kongreß völlig unterschiedliche Auffassungen über die Weltorganisation. Dies führte zu einem schillernden Bild des Hegemons und zu uneinheitlichen außenpolitischen Strategien. Der Dissens in der UNO-Politik machte sich insbesondere an der Minderung des amerikanischen Schuldenbergs fest. Obwohl die Clinton-Administration in entscheidenden Punkten (wie z. B. bei den einseitig reduzierten Beitragssätzen) unilateral agierte, handelten die Vereinigten Staaten letztlich als kompromißbereiter Hegemon. Die Regierung machte sich dafür stark, einen beträchtlichen Teil der Rückstände zu zahlen, nachdem die UNO ihre Reformen zufriedenstellend durchgeführt hatte. Anders die tonangebenden erzkonservativen Senatoren um Jesse Helms. Sie drohten mit einem Rückzug der USA aus den Vereinten Nationen, um so die Reformbedingungen noch fester zu schrauben, und blockierten gleichzeitig die Finanzierung über Jahre. So paradox es sein mag: Aufgrund der Blockadepolitik der Kongreßmehrheit agiert der amerikanische Hegemon in diesem Politikfeld bis heute eher wie eine gelähmte Mittelmacht. Nicht nur die UNO ist geschwächt, auch das Ansehen und der Einfluß der USA in der Weltorganisation sind derzeit beeinträchtigt. Die über die Budget- und Verwaltungsreform angestrebte Verankerung von Macht und Einfluß läßt sich nur über die Wiederherstellung der amerikanischen Glaubwürdigkeit erreichen – also in einem ersten Schritt dadurch, daß die USA vom größten Schuldner wieder zum größten und verläßlichen Geber werden. Mit der Zahlung eines Teils der Rückstände haben die Vereinigten Staaten nach langem Tauziehen diesen ersten Schritt zögernd getan. Ein schwieriger Weg liegt noch vor ihnen. Denn sie müssen jetzt die Generalversammlung dazu bewegen, die Sonderforderungen und einseitigen Bedingungen anzunehmen. Die am 19. November 1999 gesetzlich verankerte US-Finanzierung der Weltorganisation für die nächsten Jahre ist keine Dauerlösung, sondern lediglich eine politische Notlösung. Das Hauptproblem der letzten Jahre bleibt unverändert: Es gibt keinen stabilen inneramerikanischen Konsens über eine konstruktive UN-Politik. Das Verhalten der USA gegenüber der regionalen Organisation NATO untersucht der Report anhand der folgenden drei Fälle: a) der Entscheidung zur Bündniserweiterung, b) der Diskussion um die Neufassung ihrer Funktionen und ihres Zuständigkeitsbereichs und c) der Entwicklung einer „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Identität“. Hier präsentieren sich die Vereinigten Staaten als „sanfter” Hegemon, dessen Verhalten auch zehn Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts im Grundsatz kooperativ ist und multilateralen Prinzipien folgt. Trotz der gravierenden Veränderungen innerhalb und im Umfeld der NATO ist die amerikanische Politik gegenüber der Allianz insgesamt von Kontinuität gekennzeichnet. Die USA verstehen sich nicht als normales Mitglied des Bündnisses. Sie sehen sich vielmehr als unersetzliche Führungsmacht, die dem Bündnis Kohäsion verleiht, die innereuropäischen Widersprüche auffängt, in strittigen Fragen Kompromisse schmiedet und in Grenzfällen Entscheidungen zum allgemeinen Wohl auch gegen Widerstand durchsetzt. Außenstehende Beobachter konstatieren, die amerikanische Führung zeichne sich durch Offenheit, Dialog und durch die Bereitschaft aus, die Anliegen und Interessen der kleineren Bündnismitglieder in Rechnung zu stellen. Deshalb schlägt sich ihre Machtfülle nicht in ungezügelter Dominanz nieder. Allerdings gerät dieses Arrangement in der amerikanischen Diskussion zunehmend unter Druck. Die isolationistische Kritik verweist auf die Kosten des NATO-Engagements und das Risiko, in Konflikte verwickelt zu werden, in denen die Vereinigten Staaten keine vitalen Interessen haben. Die Kritik der Unilateralisten unterstellt, die Allianz schränke amerikanische Handlungsfreiheiten wie ein Korsett ein, ohne das dem eine nennenswerte Entlastung der USA durch die europäischen Verbündeten entgegenstehe. Bisher hat sich diese Kritik nicht in einer signifikanten Veränderung der amerikanischen NATO-Politik niedergeschlagen. Derzeit politisch bedeutsamer als die isolationistische und die unilaterale Kritik ist die Forderung der internationalistischen Mitte des politischen Spektrums, die Allianz stärker an amerikanischen Interessen auszurichten, weil sie sonst ihre praktische Relevanz verlieren würde. Der außenpolitische Konsens, der das amerikanische Engagement in der NATO bisher getragen hat, droht vor diesem Hintergrund brüchig zu werden. Das Verhalten der Vereinigten Staaten gegenüber der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) manifestiert sich zunächst in den Gesetzen zur Umsetzung des Chemiewaffen-Übereinkommens (CWÜ). Hieran läßt sich überprüfen, inwieweit die Supermacht den auch für sie verbindlichen Vorschriften des Abkommens Folge leistet. Ihrer Rhetorik entsprechend müßten die Vereinigten Staaten ein kooperativer Mitgliedstaat der OVCW sein, der die Ziele der Organisation – die Abrüstung bestehender Chemiewaffen-Arsenale und die Nichtverbreitung chemischer Waffen - nachdrücklich unterstützt. Allerdings weicht die praktische US-Politik zum Teil deutlich von den im Chemiewaffen-Übereinkommen explizierten multilateralen Verfahren ab. Das Verhalten des Hegemons ähnelt dem gegenüber den Vereinten Nationen: Der Unilateralismus ist unverkennbar. Im Zusammenspiel von Exekutive und Legislative wurden Vorschriften in die amerikanischen Ratifizierungs- und Implementierungsgesetze zum CWÜ integriert, die die Befugnisse der Organisation innerhalb der Vereinigten Staaten erheblich einschränken. Diese Politik der unilateralen Vorteilsnahme wird durch die alltägliche Praxis der Kooperation mit der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen erhärtet. Die Vereinigten Staaten behinderten zum einen die Zusammenarbeit in Den Haag, dem Sitz der Organisation. Zum anderen legten sie den Routineinspektionen der OCVW-Teams in verschiedenen amerikanischen Chemiewaffen-Einrichtungen Hindernisse in den Weg. Insgesamt ergibt sich für das Verhalten der amerikanischen Vormacht gegenüber den drei ausgewählten Internationalen Organisationen ein Bild, das die Gesamteinschätzung des verstärkten Unilateralismus unterstreicht. Die NATO stellt die Ausnahme von der Regel dar. Wie unsere Analyse zeigt, ergibt sich das auffallend unilaterale Verhalten der Vereinigten Staaten gegenüber UNO und OVCW einerseits und die kooperative Politik gegenüber der NATO andererseits aus den besonderen Eigenschaften der drei Internationalen Organisationen. Bei den Vereinten Nationen und der OVCW handelt es sich um Großorganisationen mit 185 bzw. 130 Mitgliedern. Damit ist eine beträchtliche ideologisch-politische Disparatheit verbunden, die den Einfluß der USA – wenn sie ihn denn ausüben wollen – in Grenzen hält. Wir greifen hier die in der gegenwärtigen Diskussion vorgebrachten Erklärungsfaktoren für Unilateralismus bzw. für Kooperation/Multilateralismus auf und fragen nach ihrer Plausibilität. Dazu erörtern wir die Bedeutung von vier Bestimmungsfaktoren für Unilateralismus im Hinblick auf das entsprechende US-Verhalten gegenüber UNO und OVCW, und diskutieren die analytische Reichweite von drei Erklärungsfaktoren für Zusammenarbeit/Multilateralismus in Bezug auf die primär kooperative NATO-Politik der Vereinigten Staaten. Abschließend werfen wir die Frage nach der Dauerhaftigkeit der unilateralen Grundorientierung des amerikanischen Hegemons auf. Ohne darauf eine abschließende Antwort geben zu können, erscheinen uns die herausgearbeiteten Bedingungsfaktoren auf absehbare Zeit maßgeblich zu bleiben: Eine Neuauflage des „zupackenden“ Multilateralismus der ersten Clinton-Administration ist nicht zu erwarten.


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