Gender und Migration : Zwischen Kapitalverwertung, diskursiver Legitimation und sprachlicher Normierung. Fünftes DoktorandInnenseminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Oktober 2004

Weitere beteiligte Personen: Nachtigall, Andrea (Hrsg.)

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URL http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2009/866/
Dokumentart: Kongress
Institut: Rosa-Luxemburg-Stiftung
Schriftenreihe: Manuskripte // RLS, Rosa-Luxemburg-Stiftung
Bandnummer: 62
ISBN: 3-320-02907-X
Sprache: Deutsch
Erstellungsjahr: 2006
Publikationsdatum: 13.03.2009
DDC-Sachgruppe: Politik
BK - Basisklassifikation: 89.12 (Liberalismus), 89.76 (Friedensforschung, Konfliktforschung), 89.41 (Staat und einzelne Gruppierungen), 71.31 (Geschlechter und ihr Verhalten)
Sondersammelgebiete: 3.6 Politik und Friedensforschung

Kurzfassung auf Deutsch:

Inhalt VORWORT BIRGIT ZUR NIEDEN: Falta de reciprocidad? Reflexionen über Migration, Transnationalität und verwobene Geschichten TOBIAS PIEPER: Migration, Kapitalverwertung und Nationalstaaten – ein Widerspruch? KATRIN SORKO: Die Literatur der Systemmigration im Kontext der „fünften deutschen Literatur“ CLAUDIA HAYDT: Streit um ein Stück Stoff – Die Agenda eines Konfliktes ANDREA NACHTIGALL: Neue Kriege – neue Geschlechterkonstruktionen? Zur Funktion von Geschlechterbildern in der Berichterstattung über den 11. September und Abu Ghraib JÖRG NOWAK: Geschlechterverhältnisse und Politik des Kapitals Zur Relevanz staatlicher Politik für gesellschaftliche Arbeitsteilung im Neoliberalismus JUTTA HERGENHAN: Frankreich: Zum Zusammenhang von Sprache, Politik und Geschlechterordnung AUTORINNEN Vorwort „Gender und/oder Migration“ war die thematische Klammer, die die Beiträge des DoktorandInnen-Seminars der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 7. und 8. Oktober 2004 in Berlin verband. Die von der Stiftung geförderten Promovierenden hatten die Möglichkeit, unter dieser Themenstellung ihr Promotionsvorhaben oder einen Teil ihrer Forschungsergebnisse vor- und zur Diskussion zustellen. Der vorliegende Band versammelt die Vorträge nicht in Form von Redemanuskripten, sondern als ausgearbeitete Artikel, in die auch ein Teil der Anmerkungen und Kritiken aus den dort geführten Diskussionen eingegangen sind. Die meisten Artikel stellen den Zusammenhang zwischen den Bewegungen der Migration und den damit verbundenen Politiken und Theorien und der Kategorie Gender nicht explizit heraus, sie fokussieren vielmehr einen der beiden Aspekte. Dennoch wird sowohl durch die Bandbreite der Artikel als auch durch die angesprochenen Bezüge und Verweise innerhalb der sehr unterschiedlichen Arbeiten deutlich, dass beide Themen theoretisch wie auch als empirische Beschreibung der gesellschaftlichen Verhältnisse immer in einem direkten Bezug zueinander stehen. Der Titel des DoktorandInnen-Seminars und der hiermit vorliegenden Publikation ist also nicht als bloß zufällige Addition von Gender und Migration zu verstehen, sondern verweist auf ihre untrennbare Verknüpfung. Migration wie auch die Kategorie Gender sind zentrale Strukturmerkmale heutiger Gesellschaften. In den aktuellen nationalstaatlich organisierten und zugleich globalisierten Gesellschaften wird Migration reguliert; mit Hilfe von Gesetzen und Prozessen der Ethnisierung, ‚Rassisierung’ und Kulturalisierung werden soziale Differenzen, Ungleichheit und Ausschluss produziert und manifestiert. Auch entlang der Kategorie Geschlecht fungieren diese Mechanismen zur Herstellung von hierarchischen Verhältnissen. Die Geschlechterdualität hat eine zentrale Stellung innerhalb der Anrufungen und Einbindungen der Einzelnen als Teil der Nation. Migration wird innerhalb einer aus Nationen – oder ähnlichen supranational verfassten Gebilden wie der EU – bestehenden Welt als staatlich zu regulierende Bewegung aufgefasst. Die Prozesse der Vergeschlechtlichung und Ethnisierung greifen ineinander, überlagern und ergänzen sich. Migration als Thema hat seinen Ausgangspunkt in den Bewegungen von Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Orte verlassen, sich an neuen niederlassen oder auch ihren Lebensmittelpunkt in den sich während der Migrationen auftuenden Räumen der „Nicht-Verortung“, in sich bewegenden Räumen des „Trans-Nationalen“, finden. Hierbei zeigt sich, dass dies nicht nur eine Erscheinung des derzeitigen globalen Kapitalismus ist, sondern Menschen sich immer schon aus herrschaftsförmigen Einschließungen durch ein „Sich-Weg-Bewegen“ entzogen haben, und dass viele der heutigen Migrationsrouten und - kreisläufe auf historisch gewachsene Raum- und Bewegungsstrukturen sowie einem Wissen um die Verwobenheit verschiedener Orte und Geschichten aufbauen. Migration verweist jedoch auch immer auf nationalstaatliche Herrschaft und Ausbeutung und auf den hier funktional eingeschriebenen Rassismus der modernen Gesellschaften als Identifikations- und Selektionsprinzip. An dem Bewertungsmaßstab der Verwertbarkeit werden hier der Ausschluss und die Tötung von Menschen legitimiert und staatlicherseits forciert. Genauso grundlegend werden moderne Gesellschaften durch die Kategorie Gender strukturiert und geprägt. Die Identifizierung und Einteilung von Menschen in Männer und Frauen vollzieht sich innerhalb einer zweigeschlechtlich-heterosexuellen Matrix von Bewertungen, Hierarchisierungen, Symboliken, Diskursen und realen Machtunterschieden. Hierbei sind die in die unterschiedlichen kulturellen Praxen und Gesellschaftsformationen eingeschriebenen patriarchalen Verhältnisse als Konstruktion und Differenzierung innerhalb binärer Codes immer gewaltförmig gestützt und eng verbunden mit ökonomischer Ausbeutung und geschlechtsspezifischer, gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Geschlechterverhältnisse durchziehen nicht nur jede heutige Gesellschaft in ihrer je spezifischen Form, sondern sie strukturieren immer auch die anderen vorhandenen Herrschaftsverhältnisse grundlegend mit, liegen also gleichsam quer zu ihnen. So haben in den letzten Jahrzehnten besonders postkoloniale und feministische AutorInnen herausgearbeitet, dass die Verschränkungen von class, race und gender – als symbolische Hierarchisierung und materieller Ausschluss – überall präsent sind und sich nicht ohne einander analysieren lassen. Dabei sind sie sich weder nachgeordnet, noch stehen sie zueinander in einem Verhältnis der Haupt- und Nebenwidersprüche. Gleichwohl – so zeigen es die hier versammelten Arbeiten – lassen sich natürlich Schwerpunkte in der jeweils vorgenommenen Analyse auf einen Aspekt setzen oder ein bestimmtes Ungleichverhältnis in den Vordergrund stellen. Deutlich wird diese untrennbare Verschränkung von Gender und Migration, von der Produktion von Geschlecht und von Ethnizität beispielsweise in der diskursiven und symbolischen Konstruktion von Gender in den Debatten um den Afghanistankrieg. So ist der Bezug auf ‚Frauenrechte’ zur Kriegslegitimierung untrennbar verknüpft mit der Produktion von ‚Fremdheit’ bzw. ethnisierter Differenzen zwischen ‚dem Westen’ und ‚dem Islam’. Durch die weltweiten Geschlechterverhältnisse als sich durchziehende Konstruktion ungleicher Dualitäten ist auch Migration immer schon gendered. Die Gründe, sich auf den Weg zu machen als auch die Risiken und Routen, die eingeschlagen werden, sind geprägt durch die symbolische Ordnung von Geschlechterbildern sowie den realen Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen. Die Artikel bzw. ihre VerfasserInnen kommen aus unterschiedlichen Disziplinen, teilweise sind ihre Forschungsprojekte transdisziplinär ausgerichtet. So divers wie die disziplinären Herangehensweisen sind auch die methodischen und empirischen und/oder theoretischen Zugänge. Ein Teil der Artikel beschäftigt sich damit, wie auf der diskursiven Ebene die Verhältnisse von Gender und Rassismus oder ein bestimmter Umgang mit Migration und den damit verbundenen Vorstellungen von Identität, Nation, Kultur, hergestellt, reproduziert und in aktuellen Diskursen manifestiert werden. Ein anderer Teil der Artikel beschäftigt sich weniger mit der diskursiven oder sprachlichen Verfasstheit und Hervorbringung der Verhältnisse, als dass er sie als gegebene (und historisch veränderliche) innerhalb des Kapitalismus analysiert. Nicht ihre permanente (diskursive) Produktion steht im Vordergrund, sondern die aktuelle Materialität, ihre reale Beschaffenheit und deren Funktionsweise ist Gegenstand der Untersuchungen. Ausgangspunkt ist hier eine materialistische Vorstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse und eine Diskussion um die derzeitige Verfasstheit des Zusammenhangs von Geschlecht und Staat, von Migration und Rassismus im Kapitalismus. Birgit zur Nieden arbeitet implizite und explizite Voraussetzungen von Migrationstheorien und aktueller Theorien zu transnationalen Räumen heraus. Anschließend an ihre Kritik an deren methodologischem Nationalismus bzw. mangelndem historischen Gedächtnis, schafft sie die Grundlegung für eine andere Betrachtungsweise der Bewegungen von Menschen zwischen EU und nicht-EU und ihrer Konstruktion im aktuellen Diskurs in spanischer und argentinischer Tagespresse. Von den globalen kapitalistischen Verhältnissen ausgehend analysiert Tobias Pieper Migration als eine der Installation und Aufrechterhaltung der internationalen Verwertung inhärente Bewegung. Zwischen (Arbeits-) Migration und Flucht bewegen sich Menschen, aus den unterschiedlichsten subjektiven Gründen, und dennoch scheint die direkte und strukturelle Gewalt des Kapitalismus einer der zentralen Motoren der Bewegung zu sein. Hiervon ausgehend wird der scheinbare Widerspruch zwischen nationalem Rassismus und dem Verlagen des Kapitals nach billigen Arbeitskräften als zentrales Instrument der herrschenden Hegemonie herausgearbeitet. Katrin Sorko untersucht eine besonders in den vergangenen zehn Jahren sich abzeichnende Strömung der deutschsprachigen Literatur, die sich thematisch mit der Migration von einem staatssozialistisch organisierten Land in eine kapitalistische Demokratie beschäftigt. Die Besonderheit dieser „Literatur der Systemmigration“ besteht ihrer Meinung nach darin, dass sie Stereotype auflöst und sich in spezifischer Weise mit den Themen Identität, Fremdheit, Herkunft und Gesellschaftssysteme auseinandersetzt. Im Mittelpunkt des Artikels von Claudia Haydt stehen die Repräsentationen muslimischer Frauen in den deutschen Medien, die seit den 1990er Jahren zu einem populären und kontrovers diskutierten Thema geworden sind. Im ersten Teil präsentiert die Autorin zunächst die Ergebnisse ihrer zur Ermittlung der Publikumsagenda durchgeführten Befragung, bevor sie diese in der zweiten Hälfte zu der ermittelten Medienagenda in Bezug setzt. Signifikantes Ergebnis ist, dass in beiden Agenden die ‚Kopftuchdebatte’ einen zentralen Stellenwert einnimmt. Der Beitrag zeichnet die wichtigsten Argumentationsfelder zum Thema Kopftuch nach und arbeitet Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Publikums- und Medienagenda heraus. Andrea Nachtigall geht in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Bedeutung und Funktion Geschlechterbilder in den medialen Darstellungen von Krieg und Gewalt haben. In einer Analyse der Berichterstattung deutscher Printmedien über die Anschläge des 11. September 2001 und den Afghanistan- und Irakkrieg untersucht die Autorin das Gendering des Kriegsdiskurses und zeigt die diskursive und symbolische Verschränkung von Geschlecht und Krieg auf: Kriegs- und Gewaltbereitschaft werden häufig erzeugt durch Appelle an ‚militärische, aggressive Männlichkeit’. Damit einher geht die Konstruktion einer ‚friedfertigen, zu beschützenden Weiblichkeit’, wie z.B. am legitimatorischen Bezug auf ‚Frauenrechte’ während des Afghanistankrieges deutlich wird. Anhand einer exemplarischen Analyse der Foltervorfälle im irakischen Gefängnis Abu Ghraib im Jahre 2004 wird heraus gearbeitet, dass das, was in einer Gesellschaft als legitime oder nicht-legitime Form von Gewalt gilt, zentral über die Kategorie Geschlecht verhandelt wird. Jörg Nowak untersucht in seiner materialistischen Analyse die Funktion des Staates bei der Reproduktion der Geschlechterverhältnisse und die diese begründende gesellschaftliche Arbeitsteilung im Neoliberalismus. Die patriarchale Kernstruktur ist historische Voraussetzung des Kapitalismus, er baut auf dieser auf und formt sie je nach historischen Anforderungen spezifisch um. So zeichnet sich auch der ‚Klassenkampf von Oben’ der neoliberalen Deregulierungen und Umstrukturierungen durch die Installation eines neuartigen Geschlechterverhältnisses aus – Kennzeichen sind u.a. eine verstärkte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt bei gleichzeitiger Prekarisierung ihrer Beschäftigungsverhältnisse. Neben der theoretischen Diskussion um den Zusammenhang von Kapital und Geschlecht als relativ autonome gesellschaftliche Verhältnisse werden empirische Formen der aktuellen Veränderungen analysiert. Als Politikwissenschaftlerin untersucht Jutta Hergenhan am Beispiel Frankreichs die Wechselbeziehung zwischen hierarchisierten Geschlechterstrukturen und deren Verfestigung in einer diskriminierenden Sprache. Ausgehend von der historischen Dimension zeichnet sie die aktuelle Diskussion um die rechtliche Gleichstellung von Frauen im öffentlichen Leben und der Politik nach. Sie zeigt in ihrer Analyse, dass die Strukturen der französischen Sprache extrem gegendert sind. Hiervon ausgehend wird verhandelt, ob die immer schon allem Reden und Denken vorgängige Sprache nicht bereits in so starkem Maße die Geschlechterhierarchie zementiert, dass nur eine grundlegende Abänderung die Voraussetzung für andere Verhältnisse darstellt. Andrea Nachtigall, Birgit zur Nieden, Tobias Pieper Berlin im November 2005


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