Krise der Privatisierung : Rückkehr des Öffentlichen

Candeias, Mario ; Rilling, Rainer ; Weise, Katharina

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URL http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2010/2162/
Dokumentart: Bericht / Forschungsbericht / Abhandlung
Institut: Rosa-Luxemburg-Stiftung
Schriftenreihe: Texte // Rosa-Luxemburg-Stiftung
Bandnummer: 53
Sprache: Deutsch
Erstellungsjahr: 2008
Publikationsdatum: 27.10.2010
Originalveröffentlichung: http://www.rosalux.de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Texte-53.pdf (2008)
DDC-Sachgruppe: Öffentliche Verwaltung
BK - Basisklassifikation: 83.21 (Marktwirtschaft), 88.60 (Politische Maßnahmen), 88.00 ()
Sondersammelgebiete: 3.7 Verwaltungswissenschaften

Kurzfassung auf Deutsch:

»Ein Privatisierungshalbjahr zum Vergessen!« klagte der letzte Bericht des Privatization Barometer zum Umfang der Privatisierung in der ersten Jahreshälfte 2008. Tatsächlich ist die aktuelle »Schwäche« der seit den frühen 80er Jahren ausgreifenden Politik der Privatisierung unbestreitbar. Ist also die Zeit der Privatisierung zu Ende? Mit Recht lässt sich von einer Krise der Privatisierung sprechen – doch was sind ihre Ursachen? Ist dies eine Wende – und ist sie von Bestand? Zur Beantwortung dieser Fragen wird man sich daran erinnern müssen, dass die lange Dynamik der Privatisierung gleichermaßen Resultat und Triebkraft jener Vertiefung der Ungleichheit gewesen ist, die in den 70ern mit globalem Schwung einsetzte. In den Zentren des Kapitalismus (USA, EU, Japan) verdoppelte oder verdreifachte zwischen 1975 und 2005 das oberste eine Prozent der Vermögensbesitzer und Einkommensbezieher seinen Anteil am Volksvermögen und -einkommen, eine dramatische, unerhörte, nur mit der Situation der goldenen Gründerzeit des modernen, imperialen Kapitalismus seit den 1890er Jahren vergleichbare Steigerung. Diese Verschiebung war auch ein Ergebnis der Vermögensbildung aus der Privatisierung staatlichen (und genossenschaftlichen) Eigentums und der Inwertsetzung solcher Güter, die noch gar kein Bestandteil erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit waren – also nützlicher Güter der Natur und der »immateriellen«, intellektuellen Produktion. Die dabei angehäuften riesigen Kapitale suchten Anlageund Verwertungsfelder und fanden sie immer neu in Beständen öffentlichen Eigentums. Die Privatisierung des Öffentlichen ist in den letzten drei Jahrzehnten eine ganz wesentliche Triebkraft bei der Herausbildung eines neoliberalen Finanzmarktkapitalismus gewesen. 2005 jedoch geriet diese beispiellose Ausweitung der neoliberalen Privatisierung öffentlichen Eigentums und der Inwertsetzung ins Stocken. Die Politik der Privatisierung geriet in die Krise. 2006-2008 verringerte sich ihre Bedeutung als Medium der Umverteilung von Reichtum und Macht rapide – zumal die Filetstücke des öffentlichen Eigentums längst ihren Besitzer gewechselt hatten. Zur 2007 offenbar gewordenen galoppierenden »Kernschmelze des Finanzsektors« gehört, dass aktuell das Anlage suchende Kapital der Finanzinvestoren als mächtigste Triebkraft der Privatisierung dramatisch an Kraft verloren hat. Das spektakulärste Beispiel hierzulande war der »verschobene« Börsengang der Deutschen Bahn AG. Doch diese Krise der Privatisierung reflektiert nicht nur die Schwäche der Finanzakteure. Sie spiegelt ebenso den Zusammenbruch der ganzen Hagiographie des neoliberalen Privatisierungsprojekts und seiner Rhetorik von Effizienz, Kostenersparnis, Flexibilität usw. wider. Die neuen politischen Kämpfe um Rekommunalisierung, die Wiederaneignung öffentlicher Dienste und Güter und die Sicherung der Zugänglichkeit der grundlegenden Versorgungsleistungen, wie 8 sie sich im letzten Jahrfünft zunächst in Süd- und Mittelamerika, dann aber von Wellington bis Leipzig entwickelten und die Politik der Privatisierung immer stärker unter Rechtfertigungsdruck setzten, haben ebenso dazu beigetragen, dass dieses Schlüsselprojekt des Neoliberalismus immer stärker in die Defensive geraten ist. Allerdings: Krisen sind wahre Wunderkammern der Enteignung. Da ist Kapital überakkumuliert, was meint: es findet gegenüber der Zeit vor der Krise nur noch vergleichsweise schlechtere Verwertungs-, also Profitbedingungen. Große Kapitalstücke werden so entwertet. Dabei werden gesellschaftlicher Reichtum und Privateigentum umverteilt: von unten nach oben und von oben nach ganz oben. Die wenigen Ausnahmen bestätigen diese einfache Regel und die neue große Krise zeigt dasselbe Bild: Die Eigentumslandschaft wird umgepflügt. Die neoliberalen Staatseliten, die über Jahrzehnte große Stücke ihrer eigenen ökonomischen Machtbasis an Finanzinvestoren verscherbelten und so die neue Dominanz der Finanzmärkte zu organisieren halfen, versuchen nun unter Einsatz von Milliaren Euro und Dollar diese Grundkonstellation zu bewahren – auch zum Preis einer Veränderung der formellen Eigentumsverhältnisse. Ob diese neue Politik der Verstaatlichung und der Regulierung der Finanzmärkte diese Krise überwinden und letztlich die neoliberale Grundkonstellation, wie modifiziert auch immer, erhalten kann, ist offen und umstritten. Die gegenwärtige Politik der Krisenüberwindung durch eine neue Runde ungeheurer Mobilisierung öffentlicher Mittel wird jedoch dazu führen, dass zugleich neuer Druck zur Privatisierung öffentlicher Sektoren entstehen wird – in der Bundesrepublik insbesondere auf der Ebene der Länder und Kommunen, der Infrastruktur und der öffentlichen Dienste. Ähnliches könnte unter globalem Vorzeichen geschehen: China als der weltweite Protagonist der Privatisierung staatlichen Eigentums wird diese Politik voraussichtlich nicht völlig aufgeben, sondern angesichts seiner gestärkten Position in der Weltwirtschaft in abgeschwächter Form fortsetzen. Die gegenwärtige tiefe soziale und wirtschaftliche Krise bedeutet also nicht ein Ende der Politik der Privatisierung. Diese wird es erst dann geben, wenn eine Politik des Öffentlichen hegemonial und die aktuelle der kapitalistischen Verstaatlichung überwunden sein wird. Umrisse einer solchen zeichnet dieser Band nach.


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